Wien. Die konsequente Flüchtlingspolitik des Wiener Außenministers Kurz wird in Europa mehrheitsfähig. Sein deutscher Kollege sperrt sich.

Sebastian Kurz steht auf der Bühne des Presseraums im österreichischen Außenministerium. Enger dunkelblauer Anzug, dunkelbraune Krawatte. Ungewohnt lässig sagt er den Satz: „Es ist gut, dass die Diskussion langsam ehrlich wird und nicht mehr so verlogen ist wie früher.“ Gerade wurde der Wiener Chef-Diplomat gefragt, ob er sich bestätigt fühlt nach der Forderung von EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani, Auffanglager für Flüchtlinge in Libyen zu errichten.

Natürlich fühlt sich Kurz bestätigt. Seine Position sei „mittlerweile in Europa Mehrheitsmeinung“. „Wer sich illegal auf den Weg nach Europa macht, wird an der Außengrenze gestoppt, versorgt und zurückgestellt, beziehungsweise reist freiwillig in das Transit- oder Herkunftsland zurück“, lautet seine Linie. Also: Nicht zugelassene Migranten sollen zurück in die Türkei, nach Libyen, Tunesien, in den Libanon oder nach Georgien. Vor wenigen Wochen hatte Kurz Australien dafür gepriesen, dass es Flüchtlinge auf Inseln vor den Landesgrenzen festgesetzt hatte.

Flüchtlingsdeal mit Nordafrika ist für Gabriel nicht denkbar

Als Kurz spricht, blickt Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) finster in die Presserunde. Es ist sein Antrittsbesuch in Wien. Ein Flüchtlings-Deal mit Nordafrika nach dem Modell des EU-Türkei-Vertrags ist für ihn nicht denkbar. „Was mit der Türkei und dem Flüchtlingskommissariat der UN möglich war, kann nicht auf Länder wie Libyen oder Tunesien übertragen werden“, unterstreicht er. „In Libyen gibt es keinen Staat. Mit wem wollen Sie denn dort ein Abkommen vereinbaren?“ Gabriels Ausführungen zeigen, dass er von der Idee seines österreichischen Amtskollegen nichts hält.

Kabinett bringt schärfere Abschiebe-Regeln auf den Weg

weitere Videos

    Dabei ist Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in wichtigen Punkten auf die österreichische Linie eingeschwenkt. Angesichts sinkender Umfragewerte für die Union hat die Kanzlerin die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber forciert. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) hat mit seinem österreichischen Amtskollegen Wolfgang Sobotka die Grenzkontrollen verlängert. Die EU-Staaten sind dabei, ein System der lückenlosen Registrierung von Flüchtlingen aufzubauen.

    Auch den Ansturm der Migranten über das Mittelmeer wollen die Europäer eindämmen. Im vergangenen Jahr kamen rund 180.000 Flüchtlinge von Libyen nach Italien. Der EU-Sondergipfel in Malta segnete Anfang Februar einen Zehn-Punkte-Plan ab, der die Schließung der zentralen Mittelmeer-Route zum Ziel hat. Hauptpunkte: In Libyen, dem wichtigsten Transitland für Notleidende aus dem Westen Afrikas, sollen Auffanglager installiert werden.

    Europa ist auf Kurz-Kurs eingeschwenkt

    Österreichs Außenminister Kurz lehnt sich entspannt zurück. Heute ist Brüssel zumindest in Teilen auf Kurz-Kurs. „Ich finde, dass sich die Politik nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa in die richtige Richtung bewegt hat“, lobt Kurz. Es habe eine „starke Trendwende“ stattgefunden. Aus österreichischen Regierungskreisen heißt es allerdings, dass man in Wien näher beim bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer liege als bei Merkel – wegen dessen Beharren auf „Obergrenzen“ für Flüchtlinge.

    Kurz war der kantige Österreicher, der sich schon früh öffentlich gegen die Willkommenspolitik der Kanzlerin gestellt hatte. Im September 2015 hatte Merkel mit ihrem österreichischen Amtskollegen Werner Faymann in einer Nacht- und Nebelaktion die Grenzen für Tausende Flüchtlinge geöffnet. Doch bereits wenige Monate später steuerte Wien gegen. Im Frühjahr 2016 startete Kurz eine Pendel-Diplomatie durch Mittel- und Osteuropa.

    Merkel will schnellere Rückführung nach Tunesien

    weitere Videos

      Er besprach sich mit den Regierungschefs der Visegrad-Staaten, allen voran Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban. Ab Mai war die Balkanroute weitgehend dicht, was sowohl bei Merkel als auch bei Gabriel – zu der Zeit noch Wirtschaftsminister – auf scharfe Kritik stieß. Kurz hatte in Berlin in jenen Tagen den Ruf als Polterer weg, der – die rechtspopulistische FPÖ im Nacken – im Trüben fischte. Doch das war damals.

      Gabriel will lieber die Fluchtursachen bekämpfen

      Gabriel ficht die Kehrtwende in der europäischen Flüchtlingspolitik nicht an. Er verweist auf den Widerstand aus Nordafrika selbst. Der tunesische Ministerpräsident Youssef Chahed hatte bei seinem Berlin-Besuch Anfang vergangener Woche der Kanzlerin bereits eine Absage erteilt, was die Einrichtung von Auffanglagern in seinem Land betrifft. Auch die anderen nordafrikanischen Staaten sind nicht begeistert. Am kommenden Donnerstag fliegt Merkel nach Kairo. Auch die ägyptische Regierung soll bereits signalisiert haben, dass sie keine Auffanglager auf ihrem Staatsgebiet wolle.

      In Wien wird deutlich, dass Gabriel die Diskussion um Auffanglager für Flüchtlinge für Flickschusterei hält. Er redet lieber vom großen Wurf: die Bekämpfung der Ursachen der großen Migrationswellen. In der vergangenen Woche habe er an einer internationalen Geberkonferenz zu den Staaten rund um den Tschadsee in Westafrika teilgenommen, erzählt er. Es seien rund 1,5 Milliarden Dollar nötig, um eine große Hungerkrise dort zu vermeiden. Doch nur ein Drittel der Gelder sei zusammengekommen. „Warum kriegt es die internationale Gemeinschaft nicht hin, an die Wurzeln der Misere zu gehen?“