Berlin. Bund, Ländern und Gemeinden geht es aus finanzieller Sicht so gut wie lange nicht. Doch das Geld wird einfach nicht investiert.

Die Meldungen könnten widersprüchlicher kaum sein: Auf der einen Seite hat das Statistische Bundesamt gestern den höchsten Überschuss gemeldet, den der Staat seit der Wiedervereinigung erzielt hat. Auf der anderen Seite öffnet sich im Haushalt von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ein Milliardenloch, weil die Bundesbank ihm den geringsten Gewinn seit mehr als zehn Jahren überweisen wird. Wie also steht es wirklich um die Staatsfinanzen? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Warum ist der Überschuss des Staates so unerwartet groß?

Schon im Januar hatte das Statistische Bundesamt einen ungewöhnlich großen staatlichen Überschuss gemeldet: Bund, Länder, Gemeinden und die Sozialversicherungen hätten im Jahr 2016 rund 19 Milliarden Euro mehr eingenommen als ausgegeben, hieß es. Der Wert beruhte zum großen Teil auf Schätzungen. Nun haben die Statistiker mit frischen Zahlen 23,7 Milliarden Euro Plus errechnet – ein Rekordwert. Der größte Teil (8,2 Milliarden Euro) geht auf das Konto der Sozialversicherungen, denn es haben so viele Menschen Arbeit wie lange nicht und zahlen Sozialbeiträge.

Weil die deutsche Wirtschaft gut lief, nahm auch der Staat mehr Steuern ein. Gleichzeitig musste er kaum Zinsen für Kredite zahlen: Der Überschuss des Bundes fiel mit 7,7 Milliarden Euro erneut üppig aus, auch wenn das Plus ein Viertel geringer war als noch 2015. Auch Länder und Gemeinden nahmen mehr ein als sie ausgaben (4,7 und 3,1 Milliarden Euro). Die tatsächlich zur Verfügung stehenden Summen sind etwas geringer, weil die Statistiker anders rechnen als die Finanzminister.

Wieso fehlt Schäuble doch Geld?

Die Bundesbank überweist jedes Jahr ihren Gewinn an den Finanzminister – das war immer eine sichere Nummer. Für das laufende Jahr hat Minister Schäuble einen Scheck aus Frankfurt über 2,5 Milliarden Euro eingeplant. Tatsächlich werden es aber nur 400 Millionen Euro – so wenig wie seit 2004 nicht. Schäuble zeigte sich entspannt: „Aus heutiger Sicht ist nicht erkennbar, dass der Haushalt wegen dieser Mindereinnahme insgesamt zum Ende des Jahres ins Defizit geraten könnte“, ließ er einen Sprecher mitteilen. Dafür sei die Summe zu gering.

Dass der Gewinn so klein ist, liegt daran, dass die Bundesbank mehr Geld zurücklegt als geplant – für Pensionen und für den Fall, dass die EZB die Zinsen anhebt. Denn dann müsste die Bundesbank den Geschäftsbanken wieder Zinsen zahlen, wenn diese ihr Geld über Nacht bei ihr parken. Bisher ist es umgekehrt, und die Bundesbank verdient Geld mit Strafzinsen.

Was geschieht mit den Überschüssen?

Das Geld, das der Bund übrig hat, wollte die Union für den Abbau von Schulden verwenden. Die SPD wollte es investieren. Weil beide sich nicht einigen konnten, fließen die 6,2 Milliarden Euro in die Rücklage, aus der Folgen der Flüchtlingskrise bezahlt werden. Insgesamt ist diese Rücklage mit 18,9 Milliarden Euro inzwischen prall gefüllt.

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    Die Begehrlichkeiten sind groß: Verteidigungspolitiker meldeten gestern mehr Geld für die Bundeswehr an, um der Verpflichtung innerhalb der Nato näher zu kommen, zwei Prozent der Wirtschaftsleistung fürs Militär auszugeben. Diskutiert wird auch über höhere Sozialausgaben wie etwa eine höhere Mütterrente und über milliardenschwere Steuersenkungen – alles erst nach der Wahl. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) dämpfte gestern die Erwartungen. Die finanziellen Spielräume seien „überschaubar“ sagte sie. Und: „Wir wissen, dass wir investieren müssen in unsere gesamte Infrastruktur.“ Genau das fordert auch die Opposition. „Geld im Sparstrumpf schafft kein Wachstum“, sagte Linksparteichef Bernd Riexinger. Die Grünen fordern eine „sozial-ökologische Modernisierung“ des Landes.

    Warum wird nicht genug investiert?

    Das Geld ist nicht das Problem, jedenfalls nicht bei Bund und Ländern. Auch die Baufirmen stehen bereit: „Kapazitäten sind ausreichend vorhanden“, sagt Heiko Stiepelmann, Vize-Hauptgeschäftsführer des Verbands der Bauindustrie. Was fehle, seien baufertige Projekte, was wiederum an fehlenden Baugenehmigungen liege. „Die Verwaltung ist das Nadelöhr“, so Stiepelmann.

    Wie stark Bund, Länder und Gemeinden bisher investiert haben, hat das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in einer Studie untersucht. Das Ergebnis nach einer Betrachtung der Daten für Januar bis September 2016: Bund und Kommunen investierten mehr, die Länder spürbar weniger.

    Ab 2020 dürfen Minister keine neuen Schulde machen

    Trotz sprudelnder Steuern gibt es einen Investitionsstau.
    Trotz sprudelnder Steuern gibt es einen Investitionsstau. © dpa | Tobias Hase

    Erkennbar ist das an dem Teil der Gesamtausgaben, der für Investitionen ausgegeben wird. Während diese Investitionsquote über alle staatlichen Ebenen hinweg bei 8,2 Prozent lag, waren es bei den Kommunen 11,7 Prozent. Die Länder steckten nur 6,2 Prozent ihrer Ausgaben in Investitionen. Rechnet man Länder und Gemeinden zusammen, als Abgrenzung zum Bund, so investierten das Saarland, Berlin und Bremen mit einem Anteil von maximal sechs Prozent der Gesamtausgaben am wenigsten. Zum Vergleich: Baden-Württemberg, Sachsen und Bayern haben Investitionsquoten von deutlich mehr als 13 Prozent. Die Länder, die 2016 am stärksten sparten, sind Rheinland-Pfalz, das Saarland und Nordrhein-Westfalen.

    Hier sank der Anteil der Investitionen an den Gesamtausgaben um mehr als 1,5 Prozentpunkte. Gegen den Trend behauptete sich Mecklenburg-Vorpommern: Hier wurden im Vergleich zum Vorjahreszeitraum 1,4 Prozentpunkte mehr investiert. Als Gründe für den Investitionsstau sieht IW-Forscher Tobias Hentze die Schuldenbremse. Ab 2020 dürfen die Finanzminister in den Ländern keine neuen Schulden mehr machen. „Es gibt in den Ländern den Druck, ab 2020 einen ausgeglichenen Haushalt zu präsentieren“, sagt Hentze. „Daher werden die Ausgaben, die nicht dringend nötig sind wie Investitionen, eher nicht getätigt. In den Haushalten wird jetzt schon konsolidiert.“