Düsseldorf. Kritik an Erdogan ist in der Türkei unerwünscht. Nun sollen Konsulate in NRW Eltern, Lehrer und Schüler als Spitzel angeheuert haben.

Die türkischen Generalkonsulate in NRW stehen im Verdacht, türkischstämmige Lehrer und Eltern offen dazu aufzufordern,den Unterricht an deutschen Schulen auszuspionieren und Kritik am türkischen Präsidenten Erdogan an die diplomatischen Vertretungen zu melden.

Wie die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in NRW mitteilt, soll es Ende Januar Info-Veranstaltungen in den Konsulaten in Düsseldorf, Essen, Köln und Münster gegeben haben, womöglich auch in anderen Bundesländern. An den Treffen hätten neben Lehrer- und Elternvereinen auch Imame teilgenommen.

Schüler sollen Lehrer sogar filmen

„Wir haben aus unterschiedlichen Quellen erfahren, dass die Teilnehmer dazu angehalten wurden, den Generalkonsulaten jede Kritik an der türkischen Regierung, die in NRW-Schulen beobachtet wird, zu melden“, sagte GEW-Landesvize Sebastian Krebs unserer Redaktion.

Dabei soll es nicht nur um den Türkischunterricht oder islamischen Religionsunterricht gegangen sein, sondern um alle Fächer. „Schüler sollen sogar ihre Lehrer filmen und die Aufnahmen an türkische Behörden weiterleiten“, so Krebs. Im Düsseldorfer Konsulat sollen sich Lehrer demonstrativ geweigert haben, ihre Schulen und Kollegen auszuspionieren.

Türkischstämmige Eltern beschweren sich

Der Gewerkschaft GEW liegen auch sogenannte „Jahrespläne für das Unterrichtsfach Türkisch und türkische Kultur“ vor, die offenbar von den Konsulaten an Lehrer in Deutschland verteilt werden. „Diese Lehrpläne sind stark nationalistisch gefärbt“, sagte Krebs.

Aus den Konsulaten war keine Stellungnahme zu bekommen. Die Treffen bestätigte aber der Dachverband der Türkischen Elternvereine in Deutschland. Der Vorsitzende Ali Sak erklärte, dass die Konsulate seit Jahren Veranstaltungen zu Bildungsfragen organisierten. In letzter Zeit beschwerten sich türkischstämmige Eltern immer häufiger darüber, dass die türkische Politik in Deutschland im Unterricht schlecht dargestellt werde. Sak: „Diese Eltern haben außer den Konsulaten keinen Ansprechpartner.“

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    Staatsschutz ermittelt gegen Generalkonsulate

    Die Spionage-Vorwürfe beschäftigen inzwischen offenbar die Sicherheitsbehörden und die Justiz. „Der Düsseldorfer Staatsschutz ermittelt, und die Staatsanwaltschaft Düsseldorf prüft, ob es sich hier um eine Straftat handelt“, sagte ein Sprecher des NRW-Innenministeriums unserer Redaktion. Dies konnte die Staatsanwaltschaft allerdings am Mittwoch nicht bestätigen.

    Die Landesregierung erklärte, ihr seien die Vorwürfe seit dem 15. Februar bekannt. „Justiz und Sicherheitsbehörden wurden informiert“, sagte ein Sprecher des Schulministeriums. Staatssekretär Ludwig Hecke habe die Konsulate zur Stellungnahme aufgefordert. Sollten sich die Vorwürfe bewahrheiten, wäre das „absolut inakzeptabel“.

    Opposition fordert hartes Durchgreifen

    Die NRW-Oppositionsparteien CDU und FDP forderten eine harte Gangart gegenüber den Konsulaten. „Das ist ungeheuerlich. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft sollte das zur Chefsache machen und die Generalkonsuln vorladen“, sagte die Kölner CDU-Landtagsabgeordnete Serap Güler. Die Politikerin hat eine Anfrage ans NRW-Schulministerium geschickt und will wissen, wie die Landesregierung die Schulen vor Spionage schützen will.

    Die FDP-Abgeordnete Yvonne Gebauer sieht Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) als oberste Dienstherrin der Lehrer „in der Pflicht, für eine lückenlose Aufklärung zu sorgen“. Die Regierung müsse „alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, um das Ausspionieren ein für allemal zu beenden“. Ein derartiges Eingreifen der Türkei in das NRW-Schulsystem sei erschütternd, so Gebauer.

    Türkische „Lehrpläne“ beschäftigen das Ministerium

    Nicht nur die Spionagevorwürfe sorgen für Wirbel, sondern auch die „Lehrpläne“, die laut GEW über die Konsulate an türkeistämmige Lehrer in NRW gegangen sein sollen. Die Dokumente liegen unserer Redaktion vor. Sie sind zweisprachig verfasst und laut Überschrift gedacht als „Jahresplan für das Unterrichtsfach Türkisch und türkische Kultur im Schuljahr 2017/18“. Schüler der Klassen 1 bis 5 sollen mit der türkischen Sprache, Geschichte und Kultur vertraut gemacht werden.

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      Manche dieser Unterrichtsinhalte beziehen sich auf alltägliche Situationen wie Einkaufen, Rezepte, Wetterbericht oder Kinderspiele. Die Kinder, die diesem Unterricht folgen, sollen aber erkennbar auch eine türkische und muslimische Identität entwickeln. Vorgeschlagen wird das Auswendiglernen von Koransuren und das Vortragen der Nationalhymne, das religiöse Fasten ist Thema, ebenso die Bedeutung der Familie und der Vorfahren in der Türkei, das Leben und der „nationale Kampf“ des Staatsgründers Kemal Atatürk sowie religiöse Symbole und Feiertage.

      Ministerin fordert Stellungnahme der Konsulate

      Schulministerin Löhrmann fordert eine Stellungnahme der Konsulate zu den Spionagevorwürfen und zu den „Lehrplänen“. Dass solche Pläne in NRW kursieren, sei dem Ministerium seit Kurzem bekannt. Es handele sich vermutlich um Vorschläge für den türkischen Konsulatsunterricht in Berlin. „In NRW spielt dieser Unterricht nur eine untergeordnete Rolle. Bei uns wird in 700 Schulen türkischer muttersprachlicher Unterricht angeboten. Das deckt den Bedarf“, so das Ministerium. Man könne aber nicht ausschließen, dass auch in NRW die türkischen Konsulate eigenen Sprachunterricht anbieten. Dies müsse von deutschen Behörden nicht genehmigt werden.

      Der Lehrplan Türkisch für NRW setzt andere Schwerpunkte, es geht vor allem um Sprache und alltäglichen Situationen. Patriotismus und religiöse Bekenntnisse werden hier nicht vermittelt, stattdessen beschäftigen sich die Kinder zum Beispiel mit Themen wie Zweisprachigkeit, Umweltschutz, Integration und Migration, Leben in einer modernen Gesellschaft, Freundschaft, Liebe und der Auseinandersetzung mit traditionellen Geschlechterrollen.

      Dieser Artikel erschien zuerst auf WAZ.de.