Berlin. Die Grünen haben sich bei der Urwahl für Katrin Göring-Eckardt und Özdemir für die Spitzenkandidaten entschieden. Signal an die Union?

Er ist da, wo er unbedingt hin wollte: Cem Özdemir steht in den Uferstudios in Wedding neben Katrin Göring-Eckardt, sie sind die Spitzenkandidaten der Grünen für die Bundestagswahl 2017. Özdemir lächelt zurückhaltend. Gesten des Triumphes vermeidet er. „Mir bedeutet es viel, dass ich heute hier stehen kann“, sagt der Grünen-Vorsitzende. Er empfinde „Demut und Dankbarkeit“.

Was Özdemir nicht erwähnt: Für ihn war es ein Zittersieg. Bei der Urwahl, einer Art Vorwahl für die Mitglieder der Grünen, lag er mit 35,96 Prozent nur knapp vor dem schleswig-holsteinischen Vize-Ministerpräsidenten Robert Habeck (35,74 Prozent). Das sind nur 75 Stimmen Vorsprung. Knapper hätte das Ergebnis kaum sein können. Für Anton Hofreiter, den Fraktionschef der Grünen im Bundestag, stimmten 26,19 Prozent.

Bürgerbewegung in der DDR

Seine Co-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt, die als einzige Frau unter den Kandidaten ohnehin gesetzt war, bekommt 70,63 Prozent der Stimmen. Auf mehreren Urwahlforen hatten die vier Grünen für sich geworben. Die Partei hat etwa 61.000 Mitglieder. Rund 59 Prozent haben sich an der Urwahl beteiligt. Bis in den frühen Mittwochmorgen wurde ausgezählt. Also KGE und Cem, wie die Spitzenkandidaten in der Partei genannt werden. Eine Frau aus dem Osten, protestantisch, geprägt von der Bürgerbewegung in der DDR.

Grüne sehen sich mit Realo-Spitze für Bundestagswahl gut aufgestellt

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    Und ein Mann aus dem Westen, populär, Kind türkischer Einwanderer, der Integration am eigenen Leib erfahren hat. Beide Spitzenkandidaten hätten Umbrüche erlebt, sagt Bundesgeschäftsführer Michael Kellner bei der Vorstellung des Wahlergebnisses. „Sie sind das moderne Deutschland.“ Was ungewöhnlich ist für das komplizierte Machtgefüge der Grünen: Beide gehören zum Realo-Flügel, also zum bürgerlichen Teil der Grünen, ebenso wie der drittplatzierte Robert Habeck.

    Die Parteilinken einbinden

    Es ist ein kleiner Rechtsruck bei der Öko-Partei, die traditionell Themen wie Landwirtschaft, Umwelt, Energie und Verkehr die meiste Aufmerksamkeit widmet. Doch das frisch gewählte Duo könnte in die Zeit passen. Allgemein wird ein harter Wahlkampf erwartet, der wahrscheinlich von Themen wie Terror und innere Sicherheit geprägt wird. Nicht gerade grüne Kernthemen. Zuletzt hatte Parteichefin Simone Peter die Verhältnismäßigkeit des Polizeieinsatzes in der Kölner Silvesternacht in Frage gestellt.

    Grüne ziehen mit Özdemir und Göring-Eckardt in Bundestagswahlkampf

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      Das gab intern Streit. Und in der Öffentlichkeit standen die Grünen mal wieder als Schönwetter- und Müsli-Partei da, denen theoretische Moralfragen wichtiger sind als die Sicherheit der Bürger. Nach diesem verpatzten Start ins Wahljahr ist es nun die Aufgabe des Duos, einen kraftvollen Neustart hinzulegen, heißt es in der Partei. Die langfristige Aufgabe der Spitzenkandidaten: Die Grünen nach zwölf zähen Jahren Opposition wieder an die Regierung führen.

      Annäherung an CDU/CSU

      Die Wahl von Göring-Eckardt und Özdemir macht eine schwarz-grüne Koalition wahrscheinlicher. Vor allem Özdemir steht für die Annäherung an CDU/CSU. Was aber nicht heißt, dass ein Bündnis mit der Union ein Selbstläufer wäre. Aktuell reicht es laut Umfragen nicht oder nur knapp für eine Mehrheit – die Grünen haben zuletzt mehrere Prozentpunkte verloren, stehen bei neun bis zehn Prozent. Zudem gibt es zwischen der CSU und der Partei mit der Sonnenblume im Logo fundamentale Unterschiede, zum Beispiel in Flüchtlings- und Integrationsfragen.

      Göring-Eckardt und Özdemir streiten ab, dass ihre Wahl ein schwarz-grünes Signal sei. „Jede Regierungsbildung ist schwierig“, sagt Göring-Eckardt. Die Grünen ziehen ohne Koalitionsaussage in den Wahlkampf. Ihre Strategie: Eigenständigkeit. Nach dem Motto: Wir müssen stark werden, damit keiner an uns vorbeikommt. Göring-Eckardt bekräftigt, dass sie ein zweistelliges Ergebnis holen will. 2013 lagen die Grünen bei 8,4 Prozent.

      Außenseiter im Rennen

      Eine weitere Aufgabe, die nicht zu unterschätzen ist: Das Duo muss eine Partei befrieden, die gern streitet und sich zuletzt immer wieder mit sich selbst beschäftigte. Göring-Eckardt ist in solchen Fragen geschmeidiger. So macht sie auch in den Uferstudios deutlich, dass sie sich als Teamspielerin sieht: „Wir wollen das mit euch gemeinsam machen.“ Doch auch Özdemir lobt immer wieder seine Kontrahenten Habeck und Hofreiter, feiert sie sogar mit Sätzen wie: „Wir haben vier Gewinner.“

      Schleswig-Holsteins Vize-Ministerpräsident Robert Habeck unterlag Cem Özdemir in der Urwahl nur knapp.
      Schleswig-Holsteins Vize-Ministerpräsident Robert Habeck unterlag Cem Özdemir in der Urwahl nur knapp. © dpa | Maurizio Gambarini

      Das stimmt nur zum Teil. Heimlicher Sieger der Urwahl ist sicher Robert Habeck. Der Vize-Ministerpräsident von Schleswig-Holstein war als Außenseiter ins Rennen gegangen – und hätte es fast gewonnen. Habeck gilt als möglicher Nachfolger von Özdemir an der Parteispitze. Doch für Anton Hofreiter ist das Ergebnis enttäuschend. Der authentische Bayer mit den langen Haaren, der vor allem urgrüne Themen wie Landwirtschaft und Verkehr beackert, geht als Letzter durchs Ziel.

      Ökologie im Zentrum

      Das dokumentiert wieder einmal die personelle Schwäche des linken Parteiflügels. Bisher passt niemand in die Fußstapfen von Jürgen Trittin, der die Fundis über Jahrzehnte geprägt hat und auch heute noch offen für eine rot-rot-grüne Koalition kämpft. Jetzt werden aber erstmal alle auf Cem Özdemir schauen. Und auf sein Verhältnis zur eigenen Partei. Er weiß, dass er auf die Linke zugehen muss, wenn er erfolgreich sein will. Özdemir macht in den Uferstudios deutlich: Ich werde die ganze Partei mitnehmen.

      Ein Signal an die Fundis: Özdemir will die Ökologie ins Zentrum des Wahlkampfes stellen: „Das werden wir machen.“ Ein paar Minuten später spricht er vom „Jahrhundertthema Ökologie“. Und den Parteitagsbeschluss zur Vermögenssteuer für Superreiche, den Özdemir im Herbst noch bekämpfte, verteidigt er nun als „klugen Kompromiss“. Auch jetzt zeigt er keinerlei Emotionen.