Berlin. Die langjährige Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach verlässt ihre Partei und rechnet mit Merkel ab. Die Kanzlerin schweigt dazu.

Es ist vollbracht, aber „nicht schmerzfrei“, wie Erika Steinbach sagt. Wie sollte es auch anders sein? 1974 trat sie der CDU bei, das ist 43 Jahre her, ein halbes Leben, das Steinbach am Sonntag mit einem Dreizeiler abhakt: „Mit Datum vom 15. Januar 2017 trete ich sowohl aus CDU als auch aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion aus.“ Sie fühlt sich nicht mehr heimisch in der Triple-M-Partei: Merkel, Maß und Mitte.

Steinbach stellte sich zwei Fragen: Würdest du heute CDU-Mitglied werden und würdest du die Partei wählen? „Nach gründlicher Analyse und Abwägung musste ich beide Fragen leider mit Nein beantworten.“ Ihr hessischer Verband hat sie aufgefordert, ihr Mandat aufzugeben. Nicht, dass es auf ihre Stimme ankäme. Die Mehrheit der großen Koalition ist erdrückend, und am 30. Juni tagt der Bundestag zum letzten Mal. Steinbach hatte nicht vor, wieder zu kandidieren. Und im Juli wird sie 74.

Steinbach war eine Randgröße, seit sie 2014 den Vorsitz des Verbandes der Vertriebenen aufgab. Zuletzt fiel sie als Provokateurin auf. Einmal twitterte sie über die Flüchtlingspolitik: „Seit September alles ohne Einverständnis des Bundestages. Wie in einer Diktatur.“

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Gauland will sie bald anrufen, er hat Pläne für sie

Es war auch eine eigentlich machtlose Frau – Gabriele Pauli –, die bei der CSU die Talfahrt von Parteichef Edmund Stoiber einleitete. Die Frage ist immer, ob ein isoliertes Ereignis zum Fanal wird, im Falle Steinbachs zum Zeichen dafür wird, dass Konservative in der CDU zum Störfaktor geworden sind.

Alexander Gauland hat diese Möglichkeit sofort erkannt. Der AfD-Vizechef will etwas Zeit verstreichen lassen und Steinbach nicht bedrängen, aber irgendwann wird er zum Telefon greifen, mit ihr über alte Zeiten reden, aber auch „über ihre weiteren politischen Pläne“, wie Gauland der „Welt am Sonntag“ sagte.

Sie selbst beteuerte im ZDF, sie wolle keiner anderen Partei beitreten. Bei der AfD wäre sie willkommen und quasi die Vorhut, sollte sie ihr Mandat bis September behalten. Es gibt kaum jemand in der Politik, der nicht erwartet, dass die AfD in den Bundestag einzieht.

Gauland kennt sie seit Anfang der 90er Jahre. Sie war Stadtverordnete in Frankfurt, er Büroleiter von Oberbürgermeister Walter Wallmann. In der hessischen CDU waren Wallmann und Parteichef Alfred Dregger die prägenden Figuren für die blonde, hochgewachsene damals dreißigjährige Frau, für das Vertriebenen-Kind, das eine politische Heimat findet – und ihr Thema. „Aus tiefer Überzeugung“, schreibt die Vertriebenen-Politikerin auf ihrer Homepage, „engagiere ich mich im Einklang mit der CDU für dieses deutsche Schicksalsthema und die davon betroffenen Menschen.“ Es stand dort auch noch am Tag ihres Rücktritts.

2010 sah sie Potenzial für eine Partei rechts der CDU

Hessens CDU war immer stramm konservativ, vor allem rauflustig. Eine Partei, die kantige Politiker wie Roland Koch, Manfred Kanther, Friedrich Bohl hervorbrachte, Unterschriften gegen Ausländer sammelte und damit auch noch Erfolg hatte. Aus ihrer Mitte heraus wurde ab 2007 der konservative „Berliner Kreis“ gebildet. Für Merkel, die aus dem Osten kam, war die Hessen-CDU ein faszinierendes Studienobjekt.

Wann das Fremdeln bei Steinbach begann, lässt sich schwer datieren. Schon 2010 sah sie ein Potenzial für eine neue Partei rechts von der CDU. Vermutlich erging es ihr wie vielen Konservativen. Mit Merkels Antritt als CDU-Chefin 2010 schlich sich das Gefühl ein, dass sie nicht „eine von uns“ sei. Dabei betrachtet sich Merkel selbst teils als Konservative, will es nur nicht so verstanden wissen, „dass alles so bleibt, wie es ist, sondern dass man mit Bedacht verändert“. Konservativ sei „das Gegenteil von Konserve“. Auch sei die CDU eine Partei mit drei Wurzeln: Liberal, christlich-sozial, konservativ.

Ausgerechnet ein Konservativer hat den Finger in die Wunde gelegt. Roland Koch befand, den Konservativen fehle der „intellektuelle Überbau“. So erleben viele in der Partei seit Jahren den rechten Flügel: Als unfähig, programmatisch zu übersetzen, was sie wollen. Steinbach selbst begründet ihren Austritt mit dem Atomausstieg, der Euro-Hilfe und der Flüchtlingshilfe, allesamt einsame Entscheidungen Merkels, meint Steinbach. Mehr noch: Rechtsbrüche.

Sie schließt ihre Austrittserklärung mit dem Satz „das ist nicht mehr meine Partei“. Es ist eine Abrechnung mit Merkel, und die Formulierung eine Anspielung. Schließlich hat Merkel ihre Flüchtlingspolitik mit den Worten verteidigt: „Wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land.“ Im Konrad-Adenauer-Haus sind sie sauer über Steinbachs Abgang. „Ich finde es bedauerlich, dass Frau Steinbach ihn auf diese Art und Weise vollzieht. Maßlose und unberechtigte Vorwürfe über die Medien und nicht im direkten Gespräch zu verbreiten, ist nicht konservativ“, sagte Generalsekretär Peter Tauber.

Aus der CSU wäre sie wohl nicht ausgetreten

Die CSU hat es befürchtet: Außerhalb Bayerns werden Konservative in der Union heimatlos. „Aus der CSU wäre Steinbach nicht ausgetreten, da bin ich mir ganz sicher“, glaubt der CSU-Abgeordnete Bernd Fabritius. Zwar versprach Merkel dem CSU-Chef Horst Seehofer, um die AfD-Wähler zu buhlen. Aber die CSU schaut sich ihre Einflüsterer an – Tauber, Kanzleramtschef Peter Altmaier – und zieht Schlüsse: Die wollen sich nicht um AfD-Wähler kümmern, halten es für „vertane Liebesmühe“. Und Merkel? „Sie will nicht in den Nebel rein“, sagen sie in der CSU.

Ihr einziges Zugeständnis ist, die innere Sicherheit in den Mittelpunkt ihres Wahlkampfs zu stellen. So will sie die Angst im Land aufgreifen. Weiter will sie sich nicht auf AfD-Thesen einlassen. Ansonsten gilt „Maß und Mitte“, wie sie auf der Klausur des CDU-Vorstands bekräftigt hat.

Vor vier Jahren waren es 41,5 Prozent als Wahlergebnis, die Kritiker ihres Kurses verstummen lassen. Heute sind es die Umfragen. Spätestens hier ist der Zeitpunkt für eine Rechenaufgabe gekommen. Die CDU hat 450.000 Mitglieder, jedes Jahr 15.000 Neueintritte, Merkel führt sie im 17. Jahr. Die meisten sind wegen Merkel in der Partei und sich wohl bewusst, dass es Richtung Mitte geht. Die CDU bewegte sich, Erika Steinbach blieb stehen.