Berlin. Bundestagspräsident Norbert Lammert fordert ein „Mindeststrafmaß“ für Hass-Kommentare in sozialen Netzwerken. Er kritisiert die Justiz.

Seine Ankündigung, mit der Bundestagswahl in diesem Jahr von der politischen Bühne abzutreten, kam überraschend. Einige hätten sich Norbert Lammert auch als Staatsoberhaupt vorstellen können. Als wichtiges Anliegen für seine letzten Monate als Bundestagspräsident nennt er den Kampf gegen Hass-Kommentare in den sozialen Netzwerken. Der CDU-Politiker fordert eine Gesetzesverschärfung.

Die terroristische Bedrohung, Europas Krise, die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten – die Menschen sind mit einiger Sorge in das neue Jahr gegangen. Welche Gefühle begleiten Sie in Ihren letzten Monaten als Bundestagsabgeordneter und Parlamentspräsident?

Norbert Lammert: Zweifellos befinden wir uns in einer schwierigen Zeit. Wir sind mit einer Reihe von Herausforderungen und Problemen konfrontiert, die uns alle nicht fehlen würden, wenn wir sie nicht hätten. Doch sollten wir uns gelegentlich ins Bewusstsein heben, dass es kaum ein anderes Land in Europa und darüber hinaus gibt, das sich für die Bewältigung dieser Aufgaben in einer besseren politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verfassung befindet als Deutschland.

Die Stimmung im Land hat sich verändert, auch der Hass auf Politiker wächst. „Volksverräter“ ist Unwort des Jahres geworden. Was erleben Sie persönlich?

Wir beobachten alle zusammen eine Verrohung von Kommunikationsformen in den sogenannten sozialen Medien, die jeder Beschreibung spottet. Die Mindestvoraussetzungen eines zivilisierten Umgangs miteinander werden zunehmend konterkariert. Ich akzeptiere, dass sich politische Mandatsträger eine besonders kritische Begleitung, auch Kommentierung ihres Handelns gefallen lassen müssen. Sie haben sich in der Regel auch ein etwas dickeres Fell zugelegt.

Aber das, was Kolleginnen und Kollegen im Bundestag, aber auch und gerade in den Kommunen, zum Teil täglich an Verleumdungen, Beschimpfungen und unmittelbarer Gewaltandrohung erleben, ist in keiner Weise hinnehmbar. Besonders empörend finde ich, dass solche Aktivitäten regelmäßig folgenlos bleiben – selbst wenn der Absender namentlich bekannt ist.

Wozu führt das?

Diese Verrohung wird einen dramatischen Verlust an Bereitschaft zum Engagement in der Politik nach sich ziehen. Es gibt immer mehr Politiker gerade auf kommunaler Ebene, die es sich und ihrer Familie nicht mehr zumuten wollen, zumindest verbal „zum Abschuss freigegeben“ zu werden. Das gilt besonders, wenn Staatsanwaltschaften entsprechende Strafverfahren einstellen mit dem Hinweis, es handele sich um eine virtuelle Bedrohung. Wir müssen dieses Problem in einer gemeinsamen Kraftanstrengung überzeugend in den Griff bekommen.

Woran denken Sie konkret?

Die zuständigen Landesjustizverwaltungen behandeln diese Vorfälle sehr unterschiedlich. Ich wünsche mir einen konsequenten Umgang mit Hass-Kommentaren. Die längst notwendige Aufarbeitung mag ergeben, dass wir auch gesetzlich nachjustieren müssen. Für solche Delikte sollte es ein Mindeststrafmaß geben, um Staatsanwaltschaften und Richtern die Möglichkeit zu nehmen, Strafverfahren wegen vermeintlicher Unerheblichkeit gleich niederzuschlagen.

Ich habe zum Jahreswechsel den Bundesinnenminister, den Bundesjustizminister sowie die Vorsitzenden der Landesinnenminister- und der Landesjustizministerkonferenz angeschrieben mit der ausdrücklichen Bitte, das Thema aufzugreifen. Es hat inzwischen eine generelle, unglaubliche Verrohung von Umgangsformen Platz gegriffen, die wir uns nicht weiter erlauben dürfen – weder für politische Mandatsträger noch für andere Gruppen der Gesellschaft.

Die Verrohung, von der Sie sprechen, ist auch in der Wortwahl von Politikern zu beobachten – nicht zuletzt beim gewählten amerikanischen Präsidenten Donald Trump …

Über den Verlauf und das Ergebnis der amerikanischen Präsidentschaftswahlen bin ich immer noch fassungslos. Ich hätte das in der ältesten funktionierenden Demokratie der Welt nicht für möglich gehalten.

Im amerikanischen Wahlkampf hat es auch Manipulationsversuche – gerade über das Internet – gegeben. Fürchten Sie Ähnliches zur Bundestagswahl?

Was technisch möglich ist, findet auch statt. Mit diesem Umstand haben wir hinreichende Erfahrung. Niemand darf sich der Illusion hingeben, in Deutschland würde so etwas aus purem Anstand unterbleiben. Wir müssen uns auf die Verbreitung und gezielte Nutzung von erfundenen Meldungen für politische Zwecke einstellen – und entsprechende Vorkehrungen treffen.

Die Parteien wollen Fairnessabkommen schließen …

Fairnessabkommen schaden selten, reichen aber ebenso selten aus. Es ist gut, dass sich der Bundeswahlleiter mit dieser neuen Art denkbarer Interventionen befasst. Wir sollten erheblichen technischen und finanziellen Aufwand betreiben, um uns davor zu schützen.

Ich hoffe sehr, dass es nicht beim erklärten guten Willen der Parteien bleibt, unzulässige Einflussnahme zu unterlassen. Der Verzicht auf die Verbreitung von Falschmeldungen im Internet sollte auch von allen willkommenen und unwillkommenen Anhängern der Parteien und Kandidaten als Mindestanstandsgebot im Wahlkampf begriffen werden.

Stellen Sie fest, dass solche Manipulationen auch von Russland ausgehen?

Es gibt keine Beweise, aber starke Indizien, dass es in Deutschland und Amerika gleiche oder ähnliche Verursacher gibt.

Bevor Sie nach 37 Jahren aus dem Bundestag ausscheiden – welche Vorhaben, die Ihnen besonders am Herzen liegen, sollten in dieser Wahlperiode noch gelingen?

Ich halte es für dringend geboten, dass wir rechtzeitig noch die Korrekturen im Wahlrecht einführen, die sicherstellen, dass der Bundestag jedenfalls nicht in beliebige Größenordnungen wachsen kann. Das würde weder den Absichten unseres Wahlgesetzes noch den Erwartungen der Wählerinnen und Wähler entsprechen.

Außerdem wünsche ich mir, dass wir im Grundgesetz klarstellen, dass in Deutschland die Landessprache Deutsch ist. Dazu gibt es auch mehrere Parteitagsbeschlüsse der CDU. Inzwischen ist unstreitig, was leider zu lange umstritten war: Die wichtigste einzelne Voraussetzung zur Integration in unsere Gesellschaft ist die Kenntnis und Verfügbarkeit der deutschen Sprache.

Sie sind immer wieder als geeigneter Bundespräsident genannt worden. Warum ist es nicht dazu gekommen?

Ich habe tatsächlich erstaunlich viele Briefe und Mails und Anrufe bekommen, oft in einer anrührenden Weise – und nicht nur aus der politischen Szene, sondern von mir völlig unbekannten Frauen und Männern. Das ehrt mich und hat mich gefreut. Ich habe diese Aufforderung natürlich als Ermutigung und Bestätigung meines politischen Wirkens empfunden – und keineswegs leichtfertig von mir gewiesen.

Deutsche Bundespräsidenten seit 1949

Theodor Heuss (FDP) war der erste Präsident der Bundesrepublik Deutschland. Er bekleidete das Amt von 1949 bis 1959. Heuss diente in der orientierungslosen Nachkriegszeit durch seine liberal-demokratische Haltung vielen Menschen als Vorbild. Für ihn waren „Demokratie und Freiheit nicht nur Worte, sondern lebensgestaltende Werte“. Auch im Ausland warb er mit Erfolg für das aufstrebende Deutschland.
Theodor Heuss (FDP) war der erste Präsident der Bundesrepublik Deutschland. Er bekleidete das Amt von 1949 bis 1959. Heuss diente in der orientierungslosen Nachkriegszeit durch seine liberal-demokratische Haltung vielen Menschen als Vorbild. Für ihn waren „Demokratie und Freiheit nicht nur Worte, sondern lebensgestaltende Werte“. Auch im Ausland warb er mit Erfolg für das aufstrebende Deutschland. © © epd-bild / KEYSTONE | Pelikan
Auch Heinrich Lübke (CDU) wurde für eine zweite Amtszeit wiedergewählt. Er war von 1959 bis 1969 der zweite Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland. Die Bundesversammlung wählt den Bundespräsidenten für die Dauer von fünf Jahren. Nur eine einmalige Wiederwahl ist zulässig.
Auch Heinrich Lübke (CDU) wurde für eine zweite Amtszeit wiedergewählt. Er war von 1959 bis 1969 der zweite Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland. Die Bundesversammlung wählt den Bundespräsidenten für die Dauer von fünf Jahren. Nur eine einmalige Wiederwahl ist zulässig. © © epd-bild / Keystone | Keystone
Zum dritten deutschen Bundespräsidenten wurde 1969 Gustav Heinemann (SPD) gewählt. Er führte das Amt fünf Jahre aus – bis 1974. Der Nationalökonom und Jurist, damals Mitglied der CDU, wurde am 20. September 1949 von Konrad Adenauer zum ersten Innenminister der Bundesrepublik berufen. 1957 trat Heinemann in die SPD ein und wurde Mitglied des Bundestages. Während der großen Koalition von 1966 bis 1969 amtierte er als Justizminister. Von 1949 bis 1955 leitete er als Präses die EKD-Synode; der rheinischen Kirchenleitung gehörte er von 1945 bis 1962, dem Rat der EKD bis 1961 an.
Zum dritten deutschen Bundespräsidenten wurde 1969 Gustav Heinemann (SPD) gewählt. Er führte das Amt fünf Jahre aus – bis 1974. Der Nationalökonom und Jurist, damals Mitglied der CDU, wurde am 20. September 1949 von Konrad Adenauer zum ersten Innenminister der Bundesrepublik berufen. 1957 trat Heinemann in die SPD ein und wurde Mitglied des Bundestages. Während der großen Koalition von 1966 bis 1969 amtierte er als Justizminister. Von 1949 bis 1955 leitete er als Präses die EKD-Synode; der rheinischen Kirchenleitung gehörte er von 1945 bis 1962, dem Rat der EKD bis 1961 an. © © epd-bild / Keystone | Keystone
Walter Scheel (FDP) war von 1974 bis 1979 im Amt und somit vierter Bundespräsident. Das Amt des Bundespräsidenten wird stark von der Persönlichkeit des Amtsinhabers geprägt. Trotz geringer Machtbefugnisse ...
Walter Scheel (FDP) war von 1974 bis 1979 im Amt und somit vierter Bundespräsident. Das Amt des Bundespräsidenten wird stark von der Persönlichkeit des Amtsinhabers geprägt. Trotz geringer Machtbefugnisse ... © imago | Rainer Unkel
... verfügt dieser vor allem mit seinen Reden über erhebliche Möglichkeiten der öffentlichen Wirkung.
... verfügt dieser vor allem mit seinen Reden über erhebliche Möglichkeiten der öffentlichen Wirkung. © imago stock&people | teutopress
Von 1979 bis 1984 bekleidete Karl Carstens (CDU) das höchste Amt im Staat.
Von 1979 bis 1984 bekleidete Karl Carstens (CDU) das höchste Amt im Staat. © Sven Simon
Richard von Weizsäcker (CDU) wurde auch für eine zweite Amtszeit wiedergewählt und war von 1984 bis 1994 deutscher Bundespräsident – der sechste in der deutschen Nachkriegsgeschichte.
Richard von Weizsäcker (CDU) wurde auch für eine zweite Amtszeit wiedergewählt und war von 1984 bis 1994 deutscher Bundespräsident – der sechste in der deutschen Nachkriegsgeschichte. © imago stock&people | Kraufmann&Kraufmann
Roman Herzog (CDU) wurde 1994 von der Bundesversammlung zum siebten Bundespräsidenten gewählt und bekleidete das Amt bis 1999.
Roman Herzog (CDU) wurde 1994 von der Bundesversammlung zum siebten Bundespräsidenten gewählt und bekleidete das Amt bis 1999. © Hoffmann
Zweimal scheiterte Johannes Rau (SPD) bei dem Versuch, in die höchsten Staatsämter aufzusteigen: 1987 als Kanzlerkandidat und 1993 als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten. Am 23. Mai 1999 wurde Johannes Rau im zweiten Wahlgang zum neuen Bundespräsidenten und Nachfolger von Roman Herzog (CDU) gewählt. Er bekleidete das Amt bis 2004.
Zweimal scheiterte Johannes Rau (SPD) bei dem Versuch, in die höchsten Staatsämter aufzusteigen: 1987 als Kanzlerkandidat und 1993 als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten. Am 23. Mai 1999 wurde Johannes Rau im zweiten Wahlgang zum neuen Bundespräsidenten und Nachfolger von Roman Herzog (CDU) gewählt. Er bekleidete das Amt bis 2004. © © epd-bild / Norbert Neetz | Neetz, Norbert
Große Reputation bei den Landsleuten und im Ausland erwarb der neunte Bundespräsident Horst Köhler (CDU) von 2004 bis 2010. Köhler trat ein Jahr nach seiner Wiederwahl überraschend am 31. Mai 2010 zurück. Sein Nachfolger ...
Große Reputation bei den Landsleuten und im Ausland erwarb der neunte Bundespräsident Horst Köhler (CDU) von 2004 bis 2010. Köhler trat ein Jahr nach seiner Wiederwahl überraschend am 31. Mai 2010 zurück. Sein Nachfolger ... © © epd-bild/Peter Endig/dpa-Poolf | Peter Endig
... Christian Wulff (CDU) hielt es nur zwei Jahre (2010 bis 2012) im Amtssitz des deutschen Bundespräsidenten Schloss Bellevue in Berlin aus. Er erklärte im Februar 2012 nach knapp 20 Monaten im Amt seinen Rücktritt. Zuvor hatte die Staatsanwaltschaft ...
... Christian Wulff (CDU) hielt es nur zwei Jahre (2010 bis 2012) im Amtssitz des deutschen Bundespräsidenten Schloss Bellevue in Berlin aus. Er erklärte im Februar 2012 nach knapp 20 Monaten im Amt seinen Rücktritt. Zuvor hatte die Staatsanwaltschaft ... © REUTERS | REUTERS / FABIAN BIMMER
... Ermittlungen wegen des Verdachts der Vorteilsannahme gegen ihn eingeleitet. Der Verdacht erhärtete sich jedoch nicht, die Ermittlungen wurden eingestellt.
... Ermittlungen wegen des Verdachts der Vorteilsannahme gegen ihn eingeleitet. Der Verdacht erhärtete sich jedoch nicht, die Ermittlungen wurden eingestellt. © REUTERS | REUTERS / POOL
Am 18. März 2012 wählte die Bundesversammlung Joachim Gauck zum elften Präsidenten der Bundesrepublik. Am 6. Juni 2016 erklärte der parteilose 77-jährige Amtsinhaber öffentlich, ...
Am 18. März 2012 wählte die Bundesversammlung Joachim Gauck zum elften Präsidenten der Bundesrepublik. Am 6. Juni 2016 erklärte der parteilose 77-jährige Amtsinhaber öffentlich, ... © Getty Images | Sean Gallup
... aus Altersgründen nicht erneut kandidieren zu wollen. „Ich möchte für eine erneute Zeitspanne von fünf Jahren nicht eine Energie und Vitalität voraussetzen, für die ich nicht garantieren kann“. Gaucks Amtszeit endet offiziell am 18. März.
... aus Altersgründen nicht erneut kandidieren zu wollen. „Ich möchte für eine erneute Zeitspanne von fünf Jahren nicht eine Energie und Vitalität voraussetzen, für die ich nicht garantieren kann“. Gaucks Amtszeit endet offiziell am 18. März. © dpa | Fredrik Von Erichsen
Frank-Walter Steinmeier ist am 12. Februar von der Bundesversammlung in Berlin im ersten Wahlgang mit 931 von 1239 gültigen Stimmen zum Nachfolger Gaucks und somit zum zwölften Bundespräsidenten gewählt worden.
Frank-Walter Steinmeier ist am 12. Februar von der Bundesversammlung in Berlin im ersten Wahlgang mit 931 von 1239 gültigen Stimmen zum Nachfolger Gaucks und somit zum zwölften Bundespräsidenten gewählt worden. © dpa | Kay Nietfeld
Der 61-Jährige stammt aus dem nordrhein-westfälischen Brakelsiek. Seine politische Karriere begann Steinmeier 1993 als Büroleiter des damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten und späteren Kanzlers Gerhard Schröder (SPD). Später war er Kanzleramtschef und bereits in der großen Koalition von 2005 bis 2009 Außenminister.
Der 61-Jährige stammt aus dem nordrhein-westfälischen Brakelsiek. Seine politische Karriere begann Steinmeier 1993 als Büroleiter des damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten und späteren Kanzlers Gerhard Schröder (SPD). Später war er Kanzleramtschef und bereits in der großen Koalition von 2005 bis 2009 Außenminister. © REUTERS | FABRIZIO BENSCH
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Aber ich bin nach sorgfältiger Überlegung zu dem Ergebnis gekommen, dass dies nicht das passende Amt für mich ist und ich nicht der richtige Mann für dieses besondere Amt. Ich fühle mich zusätzlich erleichtert durch den Umstand, dass es mit Frank-Walter Steinmeier einen gemeinsamen Kandidaten der Koalition gibt, an dessen fachlicher und persönlicher Eignung ich nicht den Hauch eines Zweifels habe.