Berlin. Im neuen Pisa-Test an Schulen erreicht Deutschland ein durchschnittliches Ergebnis. In den Naturwissenschaften sackt es leicht ab.

Die nächste Klassenarbeit in Chemie, der Test in Physik, die Hausaufgabe in Bio? Für jedes fünfte Mädchen des letzten Pisa-Jahrgangs sind das unüberwindbare Hürden: 20 Prozent der 15-jährigen Schülerinnen scheiterten an den einfachsten naturwissenschaftlichen Aufgaben, die Jungen schnitten etwas besser ab. Bei den Spitzenschülern zeigte sich der Unterschied zwischen Mädchen und Jungen noch deutlicher: Während in der letzten Pisa-Runde jeder achte Schüler die höchste Leistungsstufe erreichte, war es bei den Schülerinnen nur jede Zwölfte. Deutschland liegt damit im internationalen Vergleich unter dem Durchschnitt – andere Länder sind in der Mädchenförderung bei den Naturwissenschaften deutlich besser.

„Es gibt keine Rute, aber auch wenig Grund zum Feiern“, sagte Heino von Meyer, Leiter des Berliner OECD-Centers, bei der Vorstellung der Ergebnisse der jüngsten Pisa-Testrunde Dienstag in Berlin. Zum Nikolaustag bekam Deutschland damit ein „befriedigend“ – für ein „gut“ oder sogar „sehr gut“ sah die OECD zu wenig Fortschritte. Denn: Die Jahre des deutschen Aufstiegs im internationalen Leistungsranking sind vorbei. Von Meyer hat dazu ein alpines Gleichnis im Gepäck: „Nach dem Pisa-Schock von 2001 hat Deutschland das Jammertal verlassen und bewegt sich nun auf einem Hochplateau. Weitere Aufstiegsdynamik ist aber nicht zu spüren, der Anschluss an die Gipfelstürmer droht verloren zu gehen.“ Kurz: Es herrscht Stillstand.

Bildungsforscher sehen Nachteile

Deutschland liegt auch nach der Testrunde von 2015 wieder über dem Durchschnitt der OECD-Länder. Das Lesevermögen der 15-Jährigen hat sich in den letzten anderthalb Jahrzehnten deutlich verbessert. In Mathematik dagegen sind die Schüler in den vergangenen zehn Jahren im Großen und Ganzen stabil geblieben. In den Naturwissenschaften halten sie ihr gutes Ergebnis, doch auch hier hat es seit 2006 keine erkennbaren Verbesserungen mehr gegeben. Im Gegenteil: gegenüber der letzten Pisa-Runde von 2012 gab es sogar eine leichte Verschlechterung in Mathe und bei den Naturwissenschaften.

Und, was manchen Bildungsforscher durchaus besorgt, ist: Deutsche Jugendliche schneiden beim Fachwissen besser ab als bei der Frage, wie Forschung funktioniert und wie neue Erkenntnisse gewonnen werden können. Für ein Land, das gerade auch von seinen Innovationen lebt, könnte das auf Dauer ein Nachteil sein.

Schüler aus Zuwandererfamilien schneiden schlechter ab

Die alte Kritik der OECD, dass der Schulerfolg in Deutschland stark von Herkunft und Elternhaus abhängt, gilt darüber hinaus noch immer, allerdings gibt es Verbesserungen: Das deutsche Bildungssystem bietet den Schülern zwar noch immer weniger Chancengerechtigkeit als im OECD-Durchschnitt, doch der Einfluss des Einkommens auf den Schulerfolg ist leicht zurückgegangen.

Als besonderen Erfolg heben die OECD-Experten hervor, dass es heute jedem dritten Schüler aus sozial benachteiligten Familien gelingt, trotz seiner schlechteren Startbedingungen zu den leistungsstärksten des Jahrgangs zu gehören. Vor zehn Jahren schaffte das nur jeder Vierte. „Das ist aber kein Grund, sich nun entspannt zurückzulehnen“, warnte von Meyer. Nach wie vor erzielen Schüler aus Zuwandererfamilien im Schnitt deutlich weniger Pisa-Punkte als ihre Altersgenossen. Im Schnitt macht der Leistungsunterschied ein ganzes Schuljahr aus.

Deutschland landet im Mittelfeld

Deutschland ist damit weiterhin kein Einserkandidat, hält insgesamt aber Kurs. Auch für seinen Listenplatz im oberen Mittelfeld muss sich das Land nicht schämen: Auf den Plätzen vor Deutschland liegen zwar mit Großbritannien, Estland oder Finnland auch andere europäische Länder – mit Pisa-Sieger Singapur, Japan, Korea und China aber auch Nationen, die ein ganz anderes Lern- und Leistungssystem praktizieren.

Das durchwachsene Zeugnis der OECD nahmen deutsche Bildungsexperten daher auch recht gelassen auf: Angesichts der Herausforderungen des Schulsystems durch die Integration von Flüchtlingskindern, die Inklusion an Regelschulen sowie durch den massiven Lehrermangel sei es gar nicht zu erwarten gewesen, „dass sich der Aufwärtstrend nicht in gleichem Maße und in allen Bereichen fortsetzen würde, wie er bei den letzten vier PISA-Studien zu beobachten war“, sagte Hans-Peter Meidinger vom Deutschen Philologenverband.

Wirtschaft sieht in der Studie „Weckruf“ für Deutschland

Wirtschaftsvertreter reagierten dagegen am Dienstag alarmiert auf die neue Pisa-Studie: Die Studie sei ein „Weckruf“ für Deutschland, sagte Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer (BDA) unserer Redaktion. „Mit diesen Ergebnissen werden wir das kommende Jahrzehnt nicht erfolgreich bestehen können.“ Deutschland lebe von technischer Exzellenz und gut ausgebildeten Fachkräften. „Nur so sind wir sozial und wirtschaftlich stark.“

Schon heute fehlten 212.000 MINT-Fachkräfte, so Kramer. Mathe, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT) sollten in der Schule weiter gestärkt werden, gerade Gymnasien müssten bei naturwissenschaftlichen Kompetenzen besser werden. Besonders wichtig sei es zudem, Mädchen noch stärker für diese Themen zu begeistern. „Schon in der Kita sollte das Interesse an Naturwissenschaften spielerisch geweckt werden.“

Beunruhigt zeigte sich auch Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer: „Für den erfolgreichen Einstieg in die komplexen gewerblich-technischen Ausbildungsberufe im Handwerk sind naturwissenschaftliche und mathematische Kompetenzen der Schüler entscheidend.“ Gerade in diesen Fächern hätten sich die Defizite der Schüler jedoch vergrößert. Ausbildungsplätze zu zukunftssicheren und bereits digitalisierten Berufen wie Elektroniker, Anlagenbauer oder Feinwerkmechaniker blieben daher auch in großer Zahl unbesetzt, sagte der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH) dieser Zeitung.

Auch die Viertklässler haben schlechter abgeschnitten

An der neuen Runde der Pisa-Studie hatten im Frühjahr 2015 rund eine halbe Millionen 15-jährige Schüler aus 72 Ländern teilgenommen. In Deutschland waren rund 6500 Schüler und 245 Schulen beteiligt. Zum ersten Mal mussten die Schüler die Fragen nicht auf Papier beantworten, sondern die Aufgaben am Computer lösen. Ob die Umstellung dazu beigetragen habe, dass die deutschen Schüler schlechter als erwartet abgeschnitten hätten, blieb am Dienstag umstritten.

Tests im Vorfeld hätten ergeben, dass viele deutsche Schüler auf Papier besser abschnitten, sagte Kristina Reiss vom Zentrum für Internationale Vergleichsstudien in München (ZIB). Für die Bildungspolitik ein weiterer Grund, die digitale Revolution im Klassenzimmer voranzutreiben.

Mit den Pisa-Ergebnissen bekommt Deutschland nun schon zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage ein ernüchterndes Zeugnis: Beim internationalen Leistungstest der Viertklässler „TIMSS 2015“ hat sich Deutschland in Mathe verschlechtert und liegt heute unter dem EU-Durchschnitt. In den Naturwissenschaften blieben die Leistungen der deutschen Viertklässler zwar auf dem Niveau der Vorgängerstudie von 2011 – liegen damit aber inzwischen nur noch knapp über dem EU-Wert. Der Grund: Andere Länder sind deutlich besser geworden.