Karlsruhe. Das Verfassungsgericht hat geurteilt, dass die Konzerne für den Atomausstieg entschädigt werden müssen. Das Ministerium schränkt ein.

Die Energiekonzerne sollen wegen des beschleunigten Atomausstiegs nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima 2011 eine „angemessene“ Entschädigung bekommen. Dies stellte das Bundesverfassungsgericht nach Klagen von Eon, RWE und Vattenfall am Dienstag in Karlsruhe fest.

Laut dem Urteil wurden die Unternehmen durch die politische Kehrtwende vor fünf Jahren zwar nicht enteignet. Einzelne Vorschriften sind aber mit der Eigentumsfreiheit unvereinbar. Der Gesetzgeber muss deshalb nun bis Ende Juni 2018 nachbessern.

Laufzeitverlängerungen sind möglich

„Der an sich zulässigen gesetzlichen Eigentumsausgestaltung fehlt hier die verfassungsrechtlich notwendige Ausgleichsregelung“, sagte Vizegerichtspräsident Ferdinand Kirchhof bei der Urteilsverkündung. Dieser Ausgleich müsse „nicht immer in eine finanzielle Leistung münden“. Er könne auch „in Übergangsregelungen oder anderen Alternativen“ bestehen. Das könnten zum Beispiel auch Laufzeitverlängerungen für einzelne Kraftwerke sein.

Mit der Entscheidung wird den Konzernen vom höchsten deutschen Gericht also kein Geld zugesprochen. Sie schafft aber die Grundlage für Entschädigungsansprüche. Ihre Gesamtforderungen haben die Unternehmen nie beziffert. In der Branche wurden sie aber auf etwa 19 Milliarden Euro geschätzt.

Schadenersatz nur für zwei Meiler

Nach Angaben des Bundesumweltministeriums besteht aber nur bei zwei Atomkraftwerken ein Anspruch auf Schadensersatz. Dies betreffe die Meiler Krümmel sowie das AKW Mülheim-Kärlich, erklärte das Ministerium am Dienstag.

Der Vattenfall-Reaktor Krümmel wurde im Zuge des Ausstiegs zusammen mit älteren Meilern abgeschaltet, obwohl der Reaktor vergleichsweise neu ist und insgesamt nicht einmal 30 Jahre lief. Mülheim-Kärlich ging nie ans Netz, die rechnerischen Strommengen des RWE-Reaktors durften aber unter bestimmten Bedingungen auf andere Meiler übertragen werden.

Bundesumweltministerin Barbara Hendricks sagte, die Milliarden-Forderungen der Konzerne seien damit vom Tisch. Die Ausstiegsgesetze seien verfassungskonform gewesen.

Feste Abschalttermine „unzumutbar“

Die schwarz-gelbe Koalition hatte 2011 nach dem Reaktorunglück in Japan für die 17 deutschen Kraftwerke eine kurz zuvor beschlossene Laufzeitverlängerung zurückgenommen. Damals wurde besiegelt, dass spätestens Ende 2022 Schluss ist mit der Atomkraft in Deutschland. Bis dahin müssen alle Meiler zu festgeschriebenen Terminen vom Netz. Erst im Vorjahr zugesagte Extra-Strommengen wurden wieder kassiert.

Diese Streichung der zusätzlichen Strommengen beanstandeten die Verfassungsrichter ausdrücklich nicht. Es sei aber „unzumutbar, teilweise auch gleichheitswidrig“, feste Abschalttermine zu diktieren – ohne sicherzustellen, dass die im „Atomkonsens“ 2002 einmal zugeteilten Strommengen überhaupt noch produziert werden können.

Parallel Verhandlungen über Kosten

Außerdem müsse für Investitionen, die im Vertrauen in die Laufzeitverlängerung 2010 getätigt worden waren, ein Ausgleich vorgesehen werden. Die Betreiber durften sich nach dem Urteil dazu ermutigt fühlen. Sie hätten nicht mit einer politischen Kehrtwende noch in derselben Legislaturperiode rechnen müssen (Az. 1 BvR 2821/11 u.a.).

Die Entscheidung gilt auch für Vattenfall. Der schwedische Staatskonzern darf sich ausnahmsweise auf die Grundrechte berufen, weil er sonst keine Möglichkeiten hätte, sich in Deutschland vor Gericht zu wehren.

Parallel zu der juristischen Auseinandersetzung laufen in Berlin Verhandlungen über die Aufteilung der gewaltigen Kosten für die Entsorgung der atomaren Altlasten. Damit der Staat den Kraftwerksbetreibern die Haftungsrisiken für die Endlagerung abnimmt, sollten diese eigentlich alle Klagen fallenlassen. Zu den Folgen des Atomausstiegs und anderen Streitpunkten laufen zahlreiche Verfahren. (dpa/rtr)