Wien. Österreich wählt am Sonntag einen neuen Präsidenten, das Land ist tief gespalten. Ortsbesuch in einem ehemals roten Wiener Bezirk.

Stefanie und Cathy, beide 21, stehen mit Glühwein in der Hand vor dem Bahnhof Floridsdorf in Wien. Es ist die Endstation der Linie U6, der 21. Bezirk, weit draußen. Nach ihrer Wahl für Sonntag gefragt, sagen beide Frauen gleichzeitig: „Hofer“ (Stefanie) und „Van der Bellen“ (Cathy). Danach ebenfalls gleichzeitig: „Wie kannst Du den wählen?“

Sie werfen einander vor, verfallen zu sein, wahlweise der Propaganda in den Medien oder den martialischen Wahlplakaten. Stefanie wird laut: „Die Asylanten bekommen 4000 Euro monatlich, und das will der Hofer stoppen.“ Cathy: „Aber Flüchtlingen muss man schon helfen, aber so viel Geld …“ Sie zweifelt, aber dann geht es um Homo-Ehe, Abtreibung und nach zehn Minuten sagt Cathy: „Ich glaube, ich wähle gar nicht.“

Selten wurde in Europa so schrill Wahlkampf geführt

Selten ist ein Wahlkampf in Europa so schrill geführt worden, wie dieser um das Bundespräsidentenamt in Österreich. An diesem Sonntag nun ist zum dritten Mal die Stichwahl angesetzt. Die regierende große Koalition konnte keinen Kandidaten aufstellen, und so tritt der ehemalige Grünen-Chef Alexander van der Bellen gegen den rechten FPÖ-Mann Norbert Hofer an.

Präsidentschaftswahl in Österreich

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    Prognosen sagen ein Kopf-an-Kopf-Rennen voraus. Aber nach dem überraschenden Ja der Briten zum Brexit, dem EU-Ausstieg, und dem unerwartet klaren Erfolg Donald Trumps bei den Präsidentschaftswahlen in den USA vertrauen diesen auch in Österreich nur noch wenige.

    „Ich wähle Hofer, weil sich hier endlich mal etwas ändern muss“

    Im Stadtteil Floridsdorf ist die Stimmung eindeutig. Während die Hauptstadt Wien sich insgesamt traditionell eher liberal gibt und in der Mehrheit auch den Grünen-Kandidaten wählen wird, ist Floridsdorf im Norden eine Hofer-Hochburg. Die Kneipen heißen „Saitensprung“ und „Saus und Braus“ und überall darf kräftig geraucht werden.

    Dort steht Gregor Sulyoc, ein ungarischstämmiger Schlosser. „Ich wähle Hofer, weil sich hier endlich mal etwas ändern muss“, sagt Sulyoc. Er arbeite fünf Tage in der Woche bis spät abends und komme „gerade so“ über die Runden. „Und die müssen nicht arbeiten und bekommen meine Steuergelder.“ Er kenne kaum jemanden, der nicht Hofer wähle.

    Bis 2015 wurde in Floridsdorf durchgängig rot gewählt

    Das ist besonders für einen Stadtteil wie Floridsdorf, denn hier wurde bis zum Jahr 2015 durchgehend rot gewählt. Doch die Zahl der SPÖ-Unterstützer im Bezirk sank ständig, was auf Wien insgesamt gesehen zunächst nicht auffiel, weil die Partei in anderen Bezirken hinzugewinnen konnte. Doch jetzt sagen Menschen wie Gregor Sulyoc, die großen Parteien sprächen nicht mehr für ihre Belange.

    Eine weitere Besonderheit dieses Wahlkampfs in Österreich – er brachte eine Gruppe in den Vordergrund, von der zuvor nur wenig zu hören war: Die „Identitäre Bewegung“ (IB), die Ängste vor Überfremdung und angeblich drohender Islamisierung pflegt. Deren Frontmann Martin Sellner ist offen für Trump und dessen Ansichten, versteht die britischen EU-Gegner und trommelt für Hofer.

    Genugtuung bei den Rechten

    Er trägt einen zackigen Haarschnitt, redet schnell, lächelt viel, und alles Argumentieren führt bei ihm immer wieder auf einen Punkt hin: „Meine Vision ist eine Welt der Vielfalt, in der die einzelnen Kulturen an ihrem eigenen Wohl mitarbeiten und nicht auswandern müssen.“

    Er sieht mit Genugtuung, dass es so langsam möglich wird, auch in Österreich Masseneinwanderung zu kritisieren, ohne gleich als „Hipsternazi“ bezeichnet zu werden. „Hofer, Farage, Trump – da heißt es immer gleich, ein neuer Hitler droht, es sagt doch auch keiner bei Van der Bellen, ein neuer Stalinismus droht.“

    Europas und Österreichs Linke zeigt sich gespalten

    Die Medien haben in der Tat das Polarisierende dieses Wahlkampfes noch verstärkt. Häufig war von einer Schlammschlacht die Rede. Die Wochenzeitschrift „Profil“ titelt aktuell dramatisch „Es kann nur einen geben“ und gibt erstmals in ihrer Geschichte eine Wahlempfehlung aus – für Alexander van der Bellen.

    Alexander W. steht am Sonnabend auf der Demonstration gegen Hofer. Der 22-Jährige lässt die Schultern hängen, es sind fast mehr Journalisten auf dem Museumsvorplatz als Demonstranten. „Van der Bellen hat sich von der Demo distanziert“, sagt er. „Schon deshalb werden heute nicht mehr Leute kommen.“ Es zeige, wie gespalten die Linke in Österreich, aber auch in Europa, sei.

    Furcht vor Rückkehr in autoritäre Strukturen

    Er ist davon überzeugt: „Die FPÖ, die gegen Ausländer und Muslime hetzt, wird den Präsidenten hier stellen“, sagt er, „das alles wird uns zurück in autoritäre Strukturen bringen.“ Van der Bellen werde das nicht verhindern, er repräsentiere wie Clinton das alte Establishment, den Status quo. Seine Konsequenz: „Ich werde meinen Wahlzettel am Sonntag durchstreichen.“