Berlin. Die besten sollen noch besser werden: Bund und Länder wollen leistungsstarke Schüler mit einem millionenschweren Programm unterstützen.

Lange Zeit hat die Politik vor allem auf die Förderung benachteiligter Schüler geschaut. Auf lernschwache Kinder, Sitzenbleiber, Problemschüler, Kinder aus bildungsfernen Familien. Jetzt sind die Überflieger an der Reihe: Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU) will zusammen mit ihren Länderkollegen besonders begabte Schüler fördern.

300 Schulen sollen in den nächsten fünf Jahren ausprobieren, wie leistungsstarke Kinder am besten unterstützt werden können. Zum ersten Mal starten Bund und Länder damit ein gemeinsames Programm, das sich ausdrücklich an Einserschüler richtet.

Internationale Schulstudien zeigen seit Jahren, dass in Deutschland vergleichsweise wenige Kinder und Jugendliche Spitzenleistungen erzielen. „Als innovatives Hightech-Land können wir es uns aber nicht leisten, kluge Köpfe unentdeckt zu lassen“, sagt Bildungsministerin Wanka bei der Vorstellung der Initiative am Montag in Berlin. „Auch aus diesem Grund ist klar: Hier müssen wir etwas tun.“

125 Millionen Euro wollen Bund und Länder in den ersten fünf Jahren investieren

Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) sieht das genauso: „Wir wollen, dass Begabtenförderung zur Regelaufgabe in allen Schulen, Schulformen und Unterrichtsfächern wird.“ Begabtenförderung müsse in jeder Unterrichtsstunde von Anfang an mitgedacht werden und dürfe nicht auf zusätzliche Nachmittagsangebote beschränkt bleiben. Dabei soll sich die Förderung nicht auf Spitzenleistungen in den Kernfächern beschränken, sondern auch künstlerische, musische und soziale Spitzenleistungen umfassen.

125 Millionen Euro wollen Bund und Länder in den ersten fünf Jahren für die 300 Pilotschulen ausgeben, ab 2022 sollen erfolgreich getestete Förderrezepte auf andere Schulen übertragen werden. Wie die Länder die Schulen aussuchen, steht ihnen frei. Fest steht nur, dass die Hälfte Grundschulen sein sollen, insgesamt liegt der Fokus auf den Klassen 1 bis 10.

Nur wenige deutsche Schüler erreichen Spitzenleistungen

Uneins sind sich die Bildungspolitiker, ob Begabtenförderung besser neben dem regulären Unterricht oder als Teil davon funktioniert: SPD-Mann Rabe warnt davor, Eliteförderung in gesonderten Klassen zu betreiben: Das berge die Gefahr, „dass die Begabtenförderung in den Regelklassen unterbleibt“. Unionsgeführte Kultusministerien sehen das anders. Uneins sind auch die Experten aus dem Schulalltag: Bei den Lehrerverbänden löst das neue Förderprogramm für Einserkandidaten geteiltes Echo aus.

„Eine eigene Initiative für leistungsstarke Kinder geht am Kern des Problems vorbei“, kritisiert die GEW-Vorsitzende Marlis Tepe gegenüber dieser Zeitung. „Wenn Bund und Länder zusätzliches Geld ausgeben, sollten sie die Mittel zur Förderung aller Schüler, insbesondere benachteiligter Kinder, einsetzen.“ Das Kardinalproblem des deutschen Schulsystems sei die starke Abhängigkeit des Schulerfolgs der Kinder von der sozialen Herkunft.

Eine besondere Begabten-Initiative sei auch deswegen unnötig, weil sich die Lehrer schon jetzt bemühten, jedes Kind nach seinen individuellen Stärken zu fördern. „Mit mehr Unterstützung könnte das noch besser gelingen und würde allen Kindern nützen.“ Auch Tepes Gewerkschaftskollege Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung (VBE), kritisiert, dass die staatlichen Millionen falsch investiert seien: „Anstatt Geld für die Entlastung und Unterstützung der Lehrer durch das Zusammenarbeiten in multiprofessionellen Teams auszugeben, werden Modellversuche finanziert.“

Schere zwischen guten und weniger guten Schülern wird größer

Beim Philologenverband, wo vor allem Gymnasiallehrer organisiert sind, sehen sie das anders: „Begabtenförderung ist wichtig“, betont der Verbandsvorsitzende Heinz-Peter Meidinger gegenüber dieser Zeitung. „Wenn man den Grundsatz der individuellen Förderung ernst nimmt, dann muss man jeden fördern – auch besonders leistungsstarke Schüler.“ Die Schere zwischen guten und weniger guten Schülern werde dadurch zwar weiter auseinandergehen, doch das sei nicht schlimm: „Die Vorstellung, dass am Ende der Schulzeit alle Schüler gleich sein müssen, ist falsch.“

Meidinger fordert im Gegenteil sogar noch stärkere Bemühungen für die Begabtenförderung: „Die Initiative darf kein Strohfeuer bleiben.“ Sie müsse dauerhaft in den Schulen verankert werden. „Bislang ist es so, dass Begabtenförderung ein schulischer Luxus ist, der gestrichen wird, sobald es Engpässe gibt.“ Jede Schule müsse in Zukunft einen eigenen Begabtenbeauftragten haben.

Hierzulande gibt es im internationalen Vergleich kaum Spitzenschüler

Bildungsexperten wie Wilfried Bos vom Institut für Schulentwicklungsforschung an der TU Dortmund fordern das schon lange: „Wir hatten bei allen internationalen Schulleistungsuntersuchungen immer zu wenige Kinder in den oberen Kompetenzbereichen“, sagt Bos gegenüber dieser Zeitung. „Wenn unsere Nachbarländer, etwa die Skandinavier, das hinkriegen, dann können wir das auch – wenn wir uns mehr anstrengen, Kinder mit großem Potenzial stärker zu fördern.“ Die Deutschen hätten jedoch ein Problem mit der Eliteförderung – sowohl mit dem Begriff als auch mit konkreten Programmen. „Damit tun wir uns sehr schwer“, so der Bildungsforscher.

Bos stellt an diesem Dienstag in Berlin die neuen Ergebnisse der internationalen Vergleichsstudie TIMSS (Trends in International Mathematics and Science Study) vor. Die TIMSS-Tests hatten sowohl 2007 als auch 2011 nachgewiesen, dass es hierzulande im internationalen Vergleich kaum Spitzenschüler gibt. Nur fünf bis sieben Prozent erreichten den obersten Leistungsbereich.

Eine Woche später werden die Ergebnisse der neuen PISA-Studie von 2015 veröffentlicht. Während bei TIMSS Kenntnisse und Fähigkeiten von Viertklässlern getestet wurden, sind es bei PISA die Leistungen von 15-Jährigen – in Mathematik, Naturwissenschaften und Lesen. Bei beiden Studien rechnen Experten damit, dass es im Bereich der Spitzenleistungen noch immer Nachholbedarf bei deutschen Schülern gibt.