Berlin. Debatten nicht den Populisten überlassen: Justizminister Heiko Maas will mehr direkte Demokratie. Der Bundespräsident sieht das anders.

So mancher Bundesbürger wird am heutigen Sonntag wieder neidisch auf die Schweizer Nachbarn blicken. Bei einer Volksabstimmung entscheiden die Eidgenossen über die Initiative der Grünen Partei der Schweiz (GPS) für einen „geordneten Ausstieg aus der Atomenergie“. Sie sieht vor, dass alle fünf Atomkraftwerke des Landes spätestens nach 45 Betriebsjahren stillgelegt werden müssen.

Für drei der ältesten Atomkraftwerke der Welt – darunter zwei in unmittelbarer Nähe zu Baden-Württemberg – könnte heute in der Schweiz die Abschaltung im Jahr 2017 besiegelt werden. Umfragen deuteten auf eine annähernde Pattsituation bei einem leichten Vorteil für die Abschaltungs­befürworter hin. Anders als in Deutschland hatte das Schweizer Parlament bislang keinen genauen Fahrplan festgelegt, wann welches der fünf Atomkraftwerke des Alpenlandes stillzulegen ist.

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Direkte Demokratie in Deutschland schwieriger

Es ist die 13. Volksabstimmung der Schweiz allein in diesem Jahr. So einfach kann Demokratie offenbar funktionieren. Das Schweizer Modell basiert auf dem Grundgedanken, dass die Bürger eben nicht nur ihr Parlament wählen, sondern durch Volksabstimmungen konkret an der Meinungsbildung mitwirken und inhaltliche Weichenstellungen geben können.

Immer wieder wird die Schweizer Volksabstimmung als Vorbild für Deutschland genannt. Denn hierzulande sind die Möglichkeiten der direkten Demokratie deutlich begrenzter: Um bundesweite Volksentscheide einzuführen, müsste das Grundgesetz geändert werden. In den Ländern sind dagegen Volksentscheide möglich.

Für Justizminister Heiko Maas (SPD) eine unbefriedigende Situation. Er fordert nun eine Ausweitung direkter Demokratie in Deutschland: „Ich bin der Auffassung, dass Volksentscheide auch bei bundespolitischen Fragen möglich sein sollten“, sagte Maas unserer Redaktion. Mehr direkte Demokratie führe zu einem besseren Dialog zwischen Politikern und Bürgern. „Das ist dringend notwendig“, so Maas. „Wir brauchen wieder mehr Debatten in der ganzen Gesellschaft statt einsamer Entscheidungen von oben.“

Politik nicht „als Selbstbeschäftigung von Parteien“

Die Politik dürfe keine Frage ignorieren aus Sorge vor unangenehmen Antworten der Menschen, erklärte der Justizminister. „Wer Volksentscheide will, muss etwa auch Fragen der Europa- und Migrationspolitik zulassen“, verlangte Maas. „Wir sollten auch vor heiklen Fragen keine Angst haben und die Debatten nicht den Populisten überlassen.“

Maas betonte: „Die Politikverdrossenheit und auch Politikfeindlichkeit, die wir sehr viel stärker seit einigen Monaten erleben, ist auch ein Aufruf an uns Parteien in Berlin: Wir müssen die Art und Weise ändern, wie wir Politik machen.“ Politik dürfe nicht als reine Selbstbeschäftigung von Parteien wahrgenommen werden.

Seine Haltung dürfte in der großen Koalition nicht uneingeschränkt geteilt werden. Während sich die SPD grundsätzlich offen für bundesweite Volksbegehren und Volksentscheide zeigt, spricht sich die CDU noch gegen diese Form der direkten Demokratie aus. Die Frage stellt auch einen dauerhaften Konflikt zur bayerischen Schwesterpartei dar: Die CSU wünscht sich Plebiszite – vor allem über strittige europäische Fragen.

Gauck ist skeptisch bei Volksentscheiden

Bundespräsident Joachim Gauck hat seinen ablehnende Haltung gegenüber Volksentscheiden auf Bundesebene bekräftigt. Er finde es problematisch, komplexe Fragen in die Entscheidung „Ja“ oder „Nein“ zu pressen, sagte Gauck der Zeitung „Welt am Sonntag“. „Was direkte Beteiligung über Volksentscheide zumindest auf Bundesebene angeht, bin ich mittlerweile sehr skeptisch.“

In der repräsentativen Demokratie gehe es um die Arbeit von Abgeordneten, die sich oft über Jahre systematisch mit etlichen Themen beschäftigen. Der Zufall und Stimmungen spielten hier eine eher geringe Rolle. (mit dpa)