Berlin. Die Union blockiere ihren Klimaschutzplan, beklagt Umweltministerin Hendricks. Notfalls will sie auf das Ordnungsrecht zurückgreifen.

Eigentlich sollte das Kabinett an diesem Mittwoch den deutschen Klimaschutzplan beschließen. Doch nun wird Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) mit leeren Händen zur UN-Klimakonferenz nach Marokko fahren. Schuld daran sei eine Blockade der Union, kritisiert sie im Interview. Wenn Deutschland seine Klimaziele erreichen wolle, müsse die Kanzlerin ein Machtwort sprechen.

Frau Hendricks, leisten Sie beim Klima-Gipfel in Marrakesch einen Offenbarungseid?

Barbara Hendricks: Dazu besteht kein Anlass. Deutschland ist im internationalen Vergleich immer noch gut aufgestellt. Die Industriestaaten der nördlichen Hemisphäre müssen ihre Zusage einhalten und den südlichen Ländern auch finanziell dabei helfen, die Klimavorgaben zu erfüllen. Und da sind wir auf gutem Wege.

Von dem Klimaschutzplan, den Sie entwickelt haben, ist nicht viel übrig geblieben ...

Wir befinden uns in der Ressortabstimmung. In der Tat gibt es in Teilen der Koalition enorme Widerstände gegen die Umsetzung des Paris-Abkommens zu mehr Klimaschutz, vor allem in der Unionsfraktion. Ich bedauere sehr, dass wir die Kabinettsentscheidung über den Klimaschutzplan verschieben mussten und nun wohl nicht mehr vor der Konferenz in Marrakesch darüber entscheiden ...

... und nun?

Ich erinnere daran: Was wir in Paris unterschrieben haben, ist rechtlich bindend. Wir wollen bis zur Mitte des Jahrhunderts weitgehend klimagasneutral wirtschaften. Das bedeutet einen Umbau unserer Industriegesellschaft. Ich verstehe nicht, dass manche dabei so mutlos sind. Im Jahr 2050 werden wir ganz andere technologische Möglichkeiten haben als heute.

Niemand, auch nicht die deutsche Bundesregierung, kann beschließen, dass der wirtschaftliche Wandel nicht kommt. Das wird er – und zwar weltweit. Die Frage ist doch: Wollen wir dabei weiterhin ein Innovationstreiber und Vorreiter sein oder wollen wir schmollend den Anschluss verpassen? Ich halte Letzteres für geradezu gefährlich.

Was fordern Sie von Ihren Kabinettskollegen?

Dass alle Ministerien ihre Verantwortung wahrnehmen und zur Einhaltung der Zusagen beitragen. Manche scheinen immer noch zu glauben, Klimaschutz sei allein das Vergnügen der Umweltministerin. Nein, alle Ressorts sind in der Pflicht, zur Umsetzung der völkerrechtlich bindenden Verpflichtungen beizutragen, die wir in Paris eingegangen sind.

Ich habe Vorschläge gemacht, wie Deutschland seine Klimaziele erreichen kann. Ich habe mein Vorgehen vorab abgesprochen, nicht nur mit dem Wirtschaftsministerium, sondern auch mit dem Kanzleramt. Wenn die Richtlinienkompetenz der Kanzlerin etwas wert ist, müsste der Vorschlag nahezu unverändert aus den Ressorts zurückkommen.

Sie wollen aus der Kohleenergie aussteigen, Benzin- und Dieselfahrzeuge aus dem Verkehr ziehen, den Fleischkonsum einschränken. Wie wollen Sie das den Bürgern vermitteln?

Sie unterstellen mir eine absurde Verbotsmentalität. Ich will nichts verbieten. Im Gegenteil: Ich will Dinge ermöglichen, an denen wir bisher gehindert werden. Ein Großteil der Bevölkerung ist heute gezwungen, mit dem Auto zur Arbeit zu fahren, weil es keine vernünftige Bus- oder Bahnverbindung oder gute Radwege gibt. Das muss ja nicht ewig so bleiben. Mehr Klimaschutz bedeutet auch mehr Lebensqualität.

Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren kann es auch in Zukunft geben?

Warum nicht? In meinem ersten Entwurf habe ich geschrieben: Ab 2030 sollen überwiegend Pkw zugelassen werden, die nicht mit fossilen Brennstoffen betrieben werden. Ich habe ausdrücklich nicht gesagt, dass alle Autos dann schon mit erneuerbaren Energien fahren müssen.

Ich setze nicht auf Verbote, sondern auf den Markt. Mir geht es darum, dass man in diese Richtung denkt. Bisher ist dem Verkehrssektor überhaupt keine Kohlendioxid-Einsparung gelungen. Aber die Autobauer haben inzwischen verstanden, dass sie mehr tun müssen, wenn sie auf dem Weltmarkt bestehen wollen.

Und Sie sind auch einverstanden, wenn Bürger jeden Tag Fleisch essen?

Es ist doch völlig egal, ob ich damit einverstanden bin oder nicht. Das ist Privatsache der Bürgerinnen und Bürger. Das Problem ist die industrielle Massentierhaltung. Für die Fläche, die in Deutschland verfügbar ist, gibt es einfach zu viele Rinder und Schweine. Das belastet Böden, Grundwasser und Klima. Hier gilt es umzusteuern. Und Gewohnheiten ändern sich. Wer kann heute sagen, wie viel Fleisch die Menschen in 20, 30 Jahren essen wollen? Im Moment zeigt der Trend eher nach unten.

Haben Sie einen Fahrplan für den Kohleausstieg?

Ich lege mich nicht auf ein bestimmtes Ausstiegsdatum fest. Aber wir müssen bis Mitte des Jahrhunderts die Stromproduktion aus fossilen Energieträgern beenden. Nur so können wir unsere Klimazusagen einhalten. Aber ich streite mich nicht darüber, ob das 2040, 2042 oder 2046 so weit sein soll.

Kohlekraftwerke und später auch Gaskraftwerke werden nach und nach vom Netz gehen müssen. Ich habe die Einrichtung einer Kommission vorgeschlagen, die in einem möglichst breiten gesellschaftlichen Konsens einen Pfad zum Umstieg erarbeiten soll.

Und wenn das nicht zum gewünschten Ergebnis führt?

An den Verpflichtungen, die wir zum Schutz des Klimas eingegangen sind, führt kein Weg vorbei. Wenn wir keinen Konsens über den Weg zum Kohleausstieg erzielen können, werden gesetzliche Vorgaben irgendwann unausweichlich, das will ich vermeiden.

Denken Sie an ein Kohleausstiegsgesetz?

Nennen Sie es, wie Sie wollen. Fakt ist nur, dass das der schlechtere Weg für alle wäre: Für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, für die deutsche Wirtschaft und für den Steuerzahler. Wenn Weitsicht und Förderung nicht zum gewünschten Ergebnis führen, müssen wir irgendwann auf das Ordnungsrecht zurückgreifen. So weit will ich es nicht kommen lassen!

Mit Grünen und Linken hätten Sie weniger Schwierigkeiten, den Klimaschutzplan durchzubekommen als mit der Union ...

In der Tat: Wir haben es heute mit vielen Widerständen in der Union zu tun. Zwar gibt es auch dort vernünftige Politiker. Aber CDU und CSU haben insgesamt ihr Verhältnis zum Klimaschutz noch nicht ausreichend geklärt.

Die Linke bietet einen Kanzlerwechsel noch in dieser Wahlperiode an. Abwegig?

Ja.

Hat die SPD mit Sigmar Gabriel als Kanzlerkandidat die größten Erfolgsaussichten bei der nächsten Bundestagswahl?

Es ist selbstverständlich, dass der Parteivorsitzende das erste Zugriffsrecht hat. Das steht bei uns völlig außer Frage. Sigmar Gabriel hat die SPD durch schwierige Zeiten geführt und er ist ein Kämpfer.

Was bedeutet das für die Chancen der SPD, den Kanzler zu stellen?

Meine Glaskugel habe ich heute nicht dabei.