Madrid. Spaniens neuer Regierungschef ist der alte: Mariano Rajoy ist seit 35 Jahren im Geschäft. Der Politiker hat Stehvermögen wie keiner.

Mariano Rajoy weiß, wie man Krisen aussitzt. Egal wie heftig die Angriffe der Opposition auf den geschäftsführenden spanischen Ministerpräsidenten in den letzten zehn Monaten einprasselten: Der Mann mit dem grauen Stoppel-Vollbart, dem dunklen Haar und der markanten Brille lächelte alle Attacken weg. Oder er saß einfach da, unbeweglich, unerschütterlich, gleichmütig und manchmal auch etwas griesgrämig.

Stehvermögen ist das Markenzeichen des 61-jährigen Galiziers. Er überlebte Korruptionsskandale, Regierungsturbulenzen und innerparteiliche Intrigen. Sogar ein Hubschrauberunglück im Jahr 2005, bei dem der Helikopter, in dem der damalige Oppositionsführer Rajoy saß, kurz nach dem Start abstürzte.

Unpopulärster Ministerpräsident der spanischen Geschichte

„Ich werde niemals aufgeben“, rief Rajoy in den tiefsten Stunden seiner politischen Laufbahn. Die Wahlforscher hatten ihm schon vorausgesagt, dass seine Zeit an der Macht wohl beendet sei. Meinungsumfragen hatten ergeben, dass der seit Ende 2011 in Spanien regierende Konservative der unpopulärste Ministerpräsident der Geschichte ist. Doch der Überlebenskünstler Rajoy hielt erst jüngst wieder dagegen: „Ich werde weiterkämpfen.“

Der aussichtslos scheinende Kampf hat sich aus seiner Sicht gelohnt. Der schon totgesagte Polit-Haudegen war zum Beispiel nach der Wiederholung der Parlamentswahl im Juni 2016 der Einzige, der Grund zum Jubeln hatte. Er konnte bei der Neuwahl, mit der die politische Blockade Spaniens durchbrochen werden sollte, sogar die Stärke seiner wankenden konservativen Volkspartei wieder ausbauen. Rajoy erhielt zwar keine absolute Mehrheit, konnte sich aber angesichts einer geschwächten und zerstrittenen Opposition Hoffnung auf eine Minderheitsregierung machen.

Zitterpartie scheint vorerst zu Ende zu sein

Nach mehr als zehn Monaten des politischen Stillstands könnte das nun endlich klappen. Spaniens König Felipe beauftragte den bisherigen provisorischen Regierungschef am Dienstag mit der Bildung eines Minderheitskabinetts. Dieses hat gute Chancen, vom Parlament bestätigt zu werden. Damit scheint eine Zitterpartie vorerst zu Ende zu gehen, welche das südeuropäische Euro-Krisenland und ganz Europa monatelang in Atem gehalten hatte.

Nun muss sich Rajoy, der im Dezember 2015 seine absolute Mehrheit verlor und seitdem nur noch geschäftsführend im Amt ist, einer Vertrauensabstimmung im Parlament stellen. Diese Abstimmung soll Ende dieser Woche stattfinden. Die Sozialisten, größte Oppositionspartei, versprachen nach langem internen Streit, dass sie Rajoy durch Stimmenthaltung ins Amt helfen wollen. Damit wäre eine Wiederholung der Parlamentswahl, es wäre die dritte innerhalb eines Jahres gewesen, erst einmal abgewendet.

EU-Kommission droht mit blauem Brief

Erste Feuerprobe nach der für kommende Woche erwarteten Vereidigung Rajoys dürfte die Verabschiedung des schwierigen Haushaltsplanes 2017 sein, den die Sozialisten nicht mittragen wollen. Da Spanien auch 2016 wieder über das vereinbarte Etatdefizit von 3,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts hinausschießen dürfte, forderte die EU-Kommission milliardenschwere Einsparungen für den neuen Haushalt. Brüssel, das Spanien bereits im Sommer abgemahnt hatte, droht Madrid mit einem neuen blauen Brief. Spaniens linke Protestbewegung kündigte ihrerseits bei weiteren Sparbeschlüssen massive Demonstrationen an. Das Königreich steht vor einem heißen Herbst.

Rajoy ist seit Dezember 2011 Ministerpräsident. Nach unpopulären Sparmaßnahmen und einer Serie von Korruptionsskandalen in seiner Partei verlor er jedoch an Rückhalt in der Bevölkerung. Weder nach der Parlamentswahl Ende 2015 noch nach der Neuwahl im Juni 2016 schaffte er es, eine neue Regierung auf die Beine zu stellen.

Spanien leidet an Massenarbeitslosigkeit

Nun bekommt der politische Überlebenskünstler Rajoy, der seit 35 Jahren in der Politik ist, eine neue Gelegenheit. Die viertgrößte Wirtschaftsmacht der Euro-Zone erholt sich zwar langsam wieder, leidet aber immer noch unter einem hohen Schuldenberg und Massenarbeitslosigkeit.

Im Parlament sind der linke und der rechte Machtblock etwa gleich groß. Mit der Folge, dass seit mehr als 300 Tagen im Parlament weder Gesetze noch dringend notwendige Wirtschaftsreformen beschlossen wurden. Den Durchbruch in den Verhandlungen um eine tragfähige Regierung brachte nun ein Kurswechsel der oppositionellen Sozialistischen Arbeiterpartei: Nach dem Abtritt des Generalsekretärs Pedro Sánchez beschloss der provisorische Parteivorstand eine politische Kehrtwende.

Rajoy wartete auf Chance – und bekam sie

Die geschäftsführende Parteispitze verkündete, sich bei der Vertrauensabstimmung über Rajoy im Parlament nun doch der Stimme zu enthalten und damit eine neue Amtszeit des Konservativen zu ermöglichen. Lange hatte es so ausgesehen, dass Sánchez eine Koalition mit der linkspopulistischen Podemos und Regionalparteien bilden könnte. Doch Rajoy saß da, lächelte, wartete auf seine Chance – und bekam sie.