Schmölln. Haben in Thüringen Anwohner einen jungen Flüchtling zum Todessprung aufgefordert? Bisher gibt es Hinweise, aber keine klare Antwort.

Nach dem tödlichen Sprung eines Flüchtlings aus dem fünften Stock eines Hauses im thüringischen Schmölln ermittelt die Polizei, ob ihn Anwohner tatsächlich zum Suizid ermuntert haben. Bislang gibt es dafür aber keine Beweise. Ein Polizeisprecher sagte am Sonntag, eine Mitarbeiterin der Einrichtung habe bei ihrer Befragung erklärt, dass die Worte „Spring doch“ so nicht gefallen seien. Sie habe gemeint, etwas Ähnliches gehört zu haben. Die Ermittler kennen bisher auch nicht den Passanten, der dies gerufen haben soll. „Wir gehen diesen Hinweisen aber nach“, erklärte der Sprecher.

Äußerungen von Schmöllns Bürgermeister Sven Schrade (SPD) vom Samstag deuteten dennoch darauf hin, dass solche Worte gefallen sein könnten. „Uns liegen auch Informationen vor, dass einige, ich nenne sie mal Schaulustige, diesem Vorfall lange beigewohnt haben, und wohl auch Rufe gefallen sein sollen wie „Spring doch“, sagte Schrade dem MDR. „So etwas kann man nur verurteilen.“ Am Sonntag sagte er: „Wir beteiligen uns nicht an Spekulationen.“ Auf Facebook schrieb Schrade, die Untersuchungen der Staatsanwaltschaft werden ergeben, ob es solche Rufe gegeben habe.

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Polizei war schnell vor Ort

Der Geschäftsführer der Betreuungseinrichtung, David Hirsch, erklärte am Samstag, dass eine Mitarbeiterin entsprechende Rufe gehört habe. Am Sonntag war er für Nachfragen telefonisch zunächst nicht zu erreichen. Die Staatsanwaltschaft, die ebenfalls ermittelt, war zunächst ebenfalls nicht zu erreichen.

Die Polizei wurde laut Stefan Erbse, Schichtleiter der Einsatzzentrale Erfurt, um 13:50 Uhr am Freitag darüber informiert, dass der junge Flüchtling auf dem Fenstersims des geöffneten Fensters saß. Um 13:53 Uhr seien die Einsatzkräfte vor Ort gewesen. Um 15:16 Uhr stürzte sich der Minderjährige in den Tod. In diesem Zeitraum hätten die Einsatzkräfte der Feuerwehr und der Polizei keine Rufe gehört. Zur Situation vor der Flüchtlingsunterkunft sagte Erbse: „Die Stimmung vor Ort war nicht besonders aufgewiegelt und es waren auch keine Heerscharen von Schaulustigen“ anwesend.

Rätsel über das Alter des Jugendlichen

Bürgermeister Sven Schrade hofft, dass die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Aufklärung über den Vorfall in Schmölln geben. Fraglich ist, ob Anwohner den jungen Flüchtling zum tödlichen Sprung aufgefordert haben.
Bürgermeister Sven Schrade hofft, dass die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Aufklärung über den Vorfall in Schmölln geben. Fraglich ist, ob Anwohner den jungen Flüchtling zum tödlichen Sprung aufgefordert haben. © dpa | arifoto UG

Bei dem Vorfall gehen die Beamten von Suizid aus. Sie gaben das Alter des Flüchtlings mit 17 an. Allerdings kursieren unterschiedliche Angaben. „Es gibt verschiedene Datensätze“, erklärte ein Polizeisprecher. Das sei nicht ungewöhnlich bei minderjährigen Flüchtlingen, wenn sie etwa ohne Pass nach Deutschland kommen.

Den Angaben zufolge war der Jugendliche zuvor wegen psychischer Probleme in Behandlung. Kurz vor der Tat habe er in der Unterkunft randaliert, weshalb die Polizei gerufen wurde. Die Beamten konnten ihn aber nicht mehr vom Sprung aus dem fünften Stock abhalten. Einem Sprecher zufolge sprang der Flüchtling neben ein von der Feuerwehr aufgespanntes Sprungtuch. Er starb in einem Krankenhaus.

Thüringens Ministerpräsident entsetzt

Polizei und Feuerwehr bestätigten, dass sich Schaulustige vor der Unterkunft aufhielten. Nach Polizeiangaben filmte ein Passant die Szenen mit einem Handy. Er sei noch vor Ort aufgefordert worden, das Video zu löschen, was er vor den Augen der Beamten auch getan habe.

Sollte es „Spring doch“-Rufe wirklich gegeben haben, sei das nicht tolerierbar, schrieb der Bürgermeister am Samstag auf Facebook. „Es ist verachtenswert, ja unmenschlich. Ob Geflüchtete oder hier Lebende: Wir alle sind Menschen.“ Auch Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow zeigte sich entsetzt: „Es lässt einen fassungslos zurück! Diese Gier nach spektakulärem Geschehen lässt die Humanität auf der Strecke“, schrieb der Linke-Politiker auf Twitter. (dpa/JS)

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Anmerkung der Redaktion: Aufgrund der hohen Nachahmerquote berichten wir in der Regel nicht über Suizide oder Suizidversuche, außer sie erfahren durch die Umstände besondere Aufmerksamkeit. Wenn Sie selbst unter Stimmungsschwankungen, Depressionen oder Selbstmordgedanken leiden oder Sie jemanden kennen, der daran leidet, können Sie sich bei der Telefonseelsorge helfen lassen. Sie erreichen sie telefonisch unter 0800/111-0-111 und 0800/111-0-222 oder im Internet auf www.telefonseelsorge.de. Die Beratung ist anonym und kostenfrei, Anrufe werden nicht auf der Telefonrechnung vermerkt.