Dresden. Die Sprengstoffanschläge in Dresden auf eine Moschee und ein Kongresszentrum waren wohl fremdenfeindlich motiviert.

Ibrahim Turan steht am Dienstag nach einer fast schlaflosen Nacht vor der zerstörten Tür seines Hauses in Dresden und weiß nicht, wie er auf die Frage antworten soll: „Hattest du Angst?“ Er schaut zu einem Klassenkameraden, dann zu einem Nachbarn. Der zehnjährige Deutsche mit türkischen Wurzeln sagt mit einem hörbaren sächsischen Einschlag: „Gestern hatte ich schon Angst, heute nur’n bissel.“

Dann erzählt der Junge, wie seine Nacht verlaufen ist: „Ich habe türkisches Fernsehen geschaut, damit ich besser Türkisch spreche“, sagt er. „Plötzlich gab es einen Knall, die Tür war aufgeflogen und ich hab nur noch geschrien: ‚Mama, Papa, unser Haus brennt.‘“ Die Eltern haben dann sofort die Feuerwehr gerufen. „Dann kamen Nachbarn und haben versucht, zu helfen.“

Die Dresdner Behörden bestätigen den Hilferuf um 21.53 Uhr aus Dresden-Cotta, dem Wohnort der Turans. Sie leben neben einer von drei Moscheen in Dresden, der Fatih-Moschee. Der Imam, seine Frau und die beiden Kinder kommen mit dem Schrecken davon.

Rund eine halbe Stunde später, gegen 22.19 Uhr, explodiert eine zweite Bombe auf der Freiterrasse des Internationalen Congress Centers, gleich neben dem sächsischen Landtag. Die Hitze der Explosion zerstört die Seite eines Glasquaders auf der Freiterrasse. Eine Hotelbar wurde evakuiert.

Überreste selbstgebauter Sprengsätze gefunden

Bei beiden Tatorten kommt niemand körperlich zu Schaden. Aber an beiden Orten wird die Polizei auch Überreste von selbst gebauten Sprengsätzen finden. Nicht nur wegen dieser Indizien ist sich Polizeipräsident Horst Kretzschmar sicher, dass es zwischen beiden Anschlägen eine Verbindung gibt. „Auch wenn uns bislang kein Bekennerschreiben vorliegt, müssen wir von einem fremdenfeindlichen Motiv ausgehen.“ Zugleich wird eine Verbindung zu den geplanten Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit am Wochenende gesehen. In der Kongresshalle soll am 3. Oktober der Empfang des Bundespräsidenten stattfinden. Kretzschmar: „Ab sofort arbeiten wir im Krisenmodus.“

Es sollte ein Moment werden, in dem Dresden einmal glänzen könnte: 26 Jahre Deutsche Einheit vor einer der schönsten Kulissen, die der ehemalige Osten zu bieten hat: Semperoper, Hofkirche, Zwinger und Frauenkirche. Aber jetzt, nach fast zwei Jahren „Pegida“-Bewegung, nach den bösen Rufen gegen Kanzlerin Merkel in Heidenau, nach den Ausschreitungen in Bautzen, Freital und Clausnitz schauen Nicht-Sachsen mit immer mehr Befremden auf das „Elb-Florenz“.

In Dresden war fast wieder Normalität eingekehrt

Mit dem Rückgang der Pegida-Demonstrationen war fast wieder Normalität eingekehrt. Und jetzt das. Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) hat alle Mühe, Dresden in der kurzfristig einberufenen Pressekonferenz noch als „weltoffene Stadt“ in Erinnerung zu rufen. Er lud noch einmal alle Dresdner zur Feier ein: „Sonst gewinnen die anderen Kräfte.“ Dann wurde er ernst und wandte sich an die einzigen wirklichen Opfer des Anschlags: „Meine Gedanken sind vor allem bei dem Imam und seiner Familie.“

Der Imam Hamza Turan ist am Tag nach dem Attentat nicht zu sprechen. Seine Frau winkt nur ab und schüttelt immer wieder den Kopf. Ibrahim Turan ist der einzige der Familie, der redet, mit Nachbarn, mit Freunden, er ist sichtbar aufgeregt. „Ich habe noch gesehen, die haben eine Tüte geworfen mit drei Flaschen“, sagt er. Noch am Tag danach ist vor dem Haus eine Benzinspur zu sehen, die bis zum Gittertor führt. „Dort haben sie das Feuer gelegt“, Ibrahim zeigt zur Tür, „und dann gab es den Knall an der Tür.“ Das Schloss ist noch immer unbrauchbar. Er hat die Nacht bei Nachbarn verbracht. Wo er heute schläft, weiß er noch nicht. Gab es schon mal Probleme? „Nur die Schmierereien“, sagt er. „Beleidigungen gegen Muslime, aber so schlimm noch nicht.“ Dann sagt er den Satz, der alle Umstehenden ratlos lässt: „Ich weiß nicht, warum sie uns hassen.“

Petry: Barbarischer Anschlag

Auch die AfD-Chefin Frauke Petry äußerte sich in Dresden zu den Anschlägen und solidarisierte sich auf ungewöhnliche Weise mit den Opfern. „Ein Anschlag auf ein Haus, in dem Menschen Gott verehren, ist barbarisch, sei es nun eine Kirche, Moschee oder Synagoge“, sagte Petry. Bevor die Hintergründe der Taten nicht aufgeklärt seien, sollte man sich vor „Vorverurteilungen“ gegenüber Sachsen hüten.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) verurteilte die Anschläge scharf. Es sei „umso empörender“, da der Angriff auf eine Moschee einen Tag vor dem Festakt zum zehnjährigen Bestehen der Deutschen Islamkonferenz verübt worden sei, sagte er in Berlin. Zugleich beklagte er eine zunehmende Aggressivität gegenüber Muslimen in Deutschland. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) erklärte, die Anschläge seien „erschütternd“. Sie müssten „sehr sorgfältig aufgeklärt und konsequent verfolgt werden“.

Verschärfte Sicherheitsmaßnahmen vor den Moscheen in Dresden

Am Abend fand vor der Moschee eine Mahnwache statt. In den kommenden Tagen werden die Sicherheitsmaßnahmen in Dresden noch einmal verschärft. „Sämtliche islamische Einrichtungen bekommen Objektschutz.“ Er meint damit die drei Moscheen, einen Gebetsraum und ein Gemeindezentrum. Außerdem werden für die Feier fast vier Kilometer „Hamburger Zaun“ aufgebaut und 2600 Beamten seien im Einsatz, viele davon in Zivil.

Und ein neues Wort hat er auch noch für die Feier erfunden: „Nizza-Sperre“, er meint die 1400 Betonsteine, die ein ähnliches Ereignis wie in Nizza verhindern sollen.