Zerfällt Europa? Während ein Krisengipfel dem anderen folgt, regen sich im Schatten der Rettungsschirme etliche Regionen, die sich aus ihren Staatsgebilden zu lösen versuchen: die Katalonier in Spanien, die Flamen in Belgien, die Südtiroler, die Lombarden in Italien oder die Schotten im Vereinigten Königreich. Und seit 20 Jahren sind Tschechen und Slowaken friedlich geschieden.

Kriegerische Folgen ihrer angestrebten Eigenständigkeit müssen die Sezessionisten von heute im Unterschied zu nationalistischen Rebellionen früherer Jahrhunderte nicht befürchten. Die EU böte den Ministaaten, wenn sie denn zustande kämen, einen Stabilitätsrahmen und eine Risiko-Lebensversicherung.

Padanien in Norditalien möchte bayerisch werden

Das reiche norditalienische Kunstgebilde „Padanien“ freilich, das sich Bayern enger verbunden fühlt als Sizilien, würde Brüssel den Rücken kehren wollen. Andere Populisten hingegen verlören an öffentlicher Zustimmung für ihre separatistischen Ideen, sobald sie die Euro-Währung aufs Spiel setzten. In Barcelona scheiterte deshalb der katalonische Premier Artur Mas erst einmal, seine bereits weitgehend autonome Region vom spanischen Zentralstaat abzuspalten.

In Belgien, wo der Sprachenstreit 541 Tage eine gewählte Regierung verhinderte, schaffte Ministerpräsident Elio Di Rupo den drohenden Bruch zu kitten. In Schottland ist 2014 ein Referendum angesetzt, doch nicht einmal ein Bevölkerungs-Drittel steht für die Unabhängigkeit, seit die Europäische Union signalisierte, die Türen nach Europa blieben keineswegs offen.

Was aber treibt die Sezessionisten? Nur zu einem Teil ist es der Überdruss am Suprastaat Europa und seiner Finanzkrise; eher beflügelt die nach Autonomie Strebenden der Wunsch, inmitten der unübersichtlichen globalen Welt, die Gestaltung der eigenen regionalen und lokalen Belange selbst regeln zu wollen. Hierzulande erleben wir mit der Renaissance lokaler Autokennzeichen allenfalls einen schüchternen Abklatsch solcher Sehnsüchte.

Natürlich spielt – wie in Katalonien – auch der Streit um Steuerabgaben an die Zentralregierung eine Rolle – ausgerechnet in einer Zeit, in der Europas künftige Rolle in der Welt eigentlich von der Solidarität seiner Staatengemeinschaft abhängen sollte.

Auch kleine Staaten

können stabil sein

Doch auch kleine Staaten können durchaus stabil sein, sie sind sogar weniger störanfällig als große. Immerhin machen 30 europäische Länder mit durchschnittlich fünf Millionen Einwohnern 50 Prozent des Kontinents aus. Und in der EU hat jedes noch so kleine Mitglied eine Stimme, in vielen Fällen gar eine Vetomacht.

Europas Sezessionisten von heute müssen keinem Joch der Unfreiheit entkommen. Hinter ihren Bestrebungen nach Unabhängigkeit verbirgt sich ein „Wohlstandschauvinismus,“ hat der Politologe Andre Kaiser herausgefunden: Flandern ist nun mal ökonomisch potenter als Wallonien. Katalonien ist Spaniens wirtschaftsstärkste Region. Das Nordseeöl vor Schottlands Küsten macht die Eigenständigkeit finanzierbar.