Berlin. US-Präsident Barack Obama hat die Wahl gewonnen. Zeit zum Durchatmen bleiben ihm und seiner Partei aber nicht. Durch das enorme Haushaltsdefizit liege die größte Baustelle der Demokraten in den nächsten vier Jahren zuhause, sagt US-Wirtschaftsexperte Irwin Collier im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. Der Wissenschaftler arbeitet am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien der Freien Universität Berlin.

Im Repräsentantenhaus haben die Republikaner die Mehrheit. Kann Obama da überhaupt große Reformen anstoßen?

Collier: «Wenn sich die Republikaner Verhandlungen komplett verweigern, kann Obama wenig machen. Man wird aber die Frage stellen, wieso es für die Republikaner trotz der schwachen Wirtschaftslage nicht möglich war, das Weiße Haus zu erobern. Intelligente Leute lernen aus Fehlern. Da ist es die Frage, ob die rechtskonservative Tea-Party-Bewegung bei den Republikanern künftig einen so großen Einfluss behält. Falls da ein Umdenken einsetzt, könnten wir in den nächsten Jahren eine moderatere Republikanische Partei bekommen. Aber zunächst wird auch Obama demokratische Werte wieder ins Bewusstsein rufen und verteidigen müssen. In diesem Wahlkampf spielten sie kaum eine Rollen. Das war eher wie im Wilden Westen: Obama gegen Romney, Mann gegen Mann - wie in Dodge City.»

Was muss Obama in den nächsten vier Jahren unbedingt angehen?

Collier: «Er muss vor allem zuhause Ordnung schaffen. Er muss die Strukturdefizite in der amerikanischen Finanzpolitik angehen, am besten in einer Kombination von Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen. Da sind Kompromisse nötig. Dass die Republikaner bisher auf null Steuererhöhungen bestehen, macht es sehr schwierig. Die Steuern und Sozialabgaben reichen für Versprechungen wie Sozialleistungen nicht aus. Wenn da keine Lösung gefunden wird, könnte die USA langfristig echte Schwierigkeiten mit ihren Staatsschulden bekommen.»

Obama stand bisher dafür, sich der zunehmenden Spaltung zwischen Arm und Reich entgegenzustemmen. Kann er das überhaupt durchhalten?

Collier: «Das ist die große Frage. Es kommt darauf an, ob die Steuerkürzungen für die sehr Wohlhabenden aus der Amtszeit George W. Bushs zurückgenommen werden können oder nicht.»

Was bedeutet Obamas Wahlsieg für die Außenpolitik - von Europa bis Afghanistan?

Collier: «Die Werte der US-Demokraten sind weit mehr im Einklang mit europäischen Werten als die der Republikaner. Das ist für die langfristige Zusammenarbeit sehr wichtig. Neben manchen Irritationen, zum Beispiel über schrumpfende Verteidigungsetats sehe ich da keine neuen Probleme. Außenpolitisch ist Obamas größte Baustelle das Dreieck Iran, Israel, USA. Da geht es um die Umkehrung der iranischen Rüstungspolitik und darum, mehr Gleichgewicht in diese instabile Gegend zu bringen. Den Abzug aus Afghanistan hat Obama ernst gemeint. Ich vermute auch, dass er in Bezug auf die Schließung des Gefangenenlagers in Guantánamo etwas mehr wagt als bisher. Er muss ja in vier Jahren nicht wiedergewählt werden.» (dpa)