Madrid. Auf dem spanischen Pilgerweg werden die Menschenkarawanen immer größer. Das erzürnt die Einheimischen in den Orten entlang der Strecke.

Auf Mallorca schieben sich die Massen über die Partymeilen, an der Costa del Sol sieht man vor lauter Strandliegen keinen Sand mehr: Spanien erlebt dieses Jahr einen Touristenansturm. 36,3 Millionen ausländische Besucher reisten allein im ersten Halbjahr ein – 11,6 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum.

Der Boom macht sich auch in Regionen bemerkbar, die bisher eher abseits der ausgetretenen Pfade lagen. Das gilt zum Beispiel für den Jakobsweg, jene Pilgerroute, die sich über 800 Kilometer von den Pyrenäen an der französischen Grenze bis zur Kathedrale in Santiago de Compostela durch Nordspanien schlängelt. Dort ist es inzwischen mit der besinnlichen Ruhe vorbei: Jetzt im Sommer begeben sich lange Menschenkarawanen auf Wallfahrt.

Millionen Menschen kommen nach Santiago de Compostela

Weil sich immer mehr Wanderer auf den Weg nach Santiago drängeln, warnt Bürgermeister Martiño Noriega schon davor, dass seine Stadt Gefahr läuft, „am eigenen Erfolg zu sterben“. Im vergangenen Jahr liefen bereits 280.000 Pilger über den Jakobsweg nach Santiago, dessen Altstadt rund um die Kathedrale zum Weltkulturerbe gehört. 2017 dürften es rund 300.000 werden.

Seit den 90er-Jahren hat sich die Zahl verdreißigfacht. In Deutschland sorgte der Film „Ich bin dann mal weg“, der 2015 in die Kinos kam, für neue Pilgerlust. Vorlage war der Bestseller von Hape Kerkeling.

Die linke Stadtregierung will den Strom eindämmen

Zu den Pilgern kommen jedes Jahr mehrere Millionen normale Touristen in die Stadt, in dessen Kathedrale die Gebeine des Apostels Jakobus (auf Spanisch Santiago) sein sollen. Insgesamt 800.000 Besucher übernachteten im vergangenen Jahr in der 100.000-Einwohner-Stadt. Dazu kommen mehrere Millionen Tagesgäste. Und die Besucherkurve zeigt weiter steil nach oben. Kein Wunder, dass der Tourismus auch in dieser Stadt der Kirchen und Klöster ganz weltliche Konflikte schafft.

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    Die linksalternative Stadtregierung Santiagos trat bereits auf die Bremse und beschloss Maßnahmen für das Hotel- und Tourismusgewerbe in der City, weil sich Herbergen und Souvenirshops immer weiter ausbreiteten und die gewachsenen Altstadtstrukturen erdrückten, und verschärfte die Genehmigungsbedingungen. So will man auch verhindern, dass die Immobilienpreise weiter in den Himmel schießen und die einheimische Bevölkerung aus der Innenstadt verdrängt wird.

    Die Stadt lebt vom Tourismus – und krankt an ihm

    Um die Immobilienspekulation rund um die Kathedrale zu bremsen, wird nun auch in Santiago – ähnlich wie schon in den spanischen Tourismushochburgen am und im Mittelmeer – die illegale Vermietung von Ferienapartments durch Airbnb und andere Plattformen bekämpft. Nur offiziell registrierte Ferienwohnungen mit Lizenz dürfen noch angeboten werden, sonst drohen hohe Strafen.

    Niemand will hier die Touristen zum Sündenbock machen, schließlich lebt die Pilgerstadt von ihren Besuchern. „Der Tourismus ist der Motor unserer Stadt“, räumt Bürgermeister Noriega ein. Er will die Touristenkarawanen lediglich in geordnete Bahnen lenken. „Wir müssen ein Qualitätsmodell suchen, das nicht die ganze Altstadt in einen Themenpark verwandelt.“ Auch beim Geschäft mit den Pilgern, das die Kassen laut klingeln lässt, dürfe nicht der Respekt vor den einheimischen Bewohnern unter die Räder kommen.

    Demonstranten fordern: „Pilger, geht nach Hause!“

    In der 600 Kilometer entfernten Stadt Logroño, die am Pilgerweg liegt, demonstrierte eine kleine Bürgergruppe vor einigen Wanderherbergen und hielt Plakate mit der Aufschrift „Pilger, geht nach Hause“ in die Höhe. „Unsere Altstadt hat sich wegen Tausenden von Pilgern in einen unbegehbaren und überaus lauten Ort verwandelt“, erklärten die Demonstranten. Der Pilgerstrom treibe die Preise der Bars und Restaurants in die Höhe und störe die Ruhe in den Altstadtgassen.

    Es sind längst nicht nur die Einheimischen, sondern auch die Pilger selbst, die sich beschweren und in Reiseforen etwa von Balgereien um Schlafplätze berichten. Die Pilgerherbergen sind überfüllt. Wer nicht frühzeitig reserviert und mittags am Ziel ist, bekommt kein Bett. Manche müssen auf teure Hotels ausweichen, andere nächtigen draußen im Schlafsack.

    Selbst die Ausweichrouten sind schon überfüllt

    Und vor vielen Restaurants, Trinkbrunnen und natürlich vor Santiagos berühmter Kathedrale müssen die Touristen lange Schlange stehen. Im Internet geben sich Pilger Tipps für Ausweichrouten – die dann ihrerseits wieder voller werden. Von der angestrebten Einsamkeit kann, wenigstens auf der Hauptpilgerroute von Frankreich nach Santiago, schon lange keine Rede mehr sein.

    Blogger Joachim Lentz kommentiert die Beschwerden selbstkritisch: „Ich bin ja auch Teil dieser Überfüllung und sollte mich folglich nicht über die Kommerzialisierung ereifern.“