Hamburg/Berlin. Nie war die Belastung im Alltag mit Kind und Job so hoch. Das liegt vor allem an den eigenen Erwartungen.

Mila steht vor dem Regal eines Hamburger Biomarktes, und während ihre Augen ein Müsli ohne Nüsse für ihren Fünfjährigen aussuchen, geht sie in Gedanken ihre To-do-Liste für heute Nachmittag durch. E-Mails-Lesen, den Vortrag vorbereiten, Bananen, Quark und Körnerbrot einkaufen, Rucksack für den Waldtag in der Kita packen, den Steuerberater zurückrufen und den Kinderarzt wegen der Impfungen, ihren Mann erinnern, dass er morgen mit Abholen dran ist.

Parallel trifft sie eine Mama aus der Kita, die ihr erklärt, dass der Joghurt, den die Kids zum Vespern bekommen, laut chinesischer Ernährungslehre eine kalte Speise ist. Und sie fragt, ob man nicht lieber auf „warmen“ Tofu-Joghurt umsteigen sollte. Und ob sie dazu eine kurze Mail für den Elternabend morgen verfassen könnte. Mila merkt nur, wie sich ihr Kopf dreht. Sie will die Kita-Mutter am liebsten erwürgen, lächelt aber nur mit der Oberlippe.

Immer mehr Burn-Out-Fälle

Das bisschen Haushalt, das bisschen Beckenbodentraining im Berufsverkehr, das bisschen Abends-noch Powerpoint-Präsentation-Bauen, wenn die Kinder im Bett sind: Noch nie waren Frauen so einer hohen Doppelbelastung zwischen Kindern und Karriere ausgesetzt wie heute, noch nie war der Gesundheitszustand von Frauen mittleren Alters so auffallend schlecht, wie die Leiterin Anne Schilling, Vorsitzende des Müttergenesungswerk, dokumentiert.

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Laut diesem ist die Zahl der Mütter mit Erschöpfungssyndrom bis hin zum Burn-out in den letzten 10 Jahren um 37 Prozentpunkte gestiegen. Und nach einer Bedarfsstudie des Bundesfamilienministeriums könnten 20 Prozent aller Mütter mit Kindern unter 18 Jahren sofort eine Kur beantragen.

Diffuser Druck von außen

Sicher, das Phänomen der Karrieremutter ist nicht neu, jedoch zu keiner Zeit musste das Kind aus der Elterninitiativ-Kita um 16 Uhr abgeholt sein, der selbst gebackene Kuchen zum Geburtstag dank Biolebensmittelfarbe bunt sein, das Mehl aus Dinkel, und das alles, während sich das voller E-Mails noch weiter füllt.

Dazu addiert sich schnell ein diffuser Druck von außen. „Wir gucken, justieren und gleichen uns ab“, sagt Lisa Harmann, dreifache Mutter und Gründerin des Blogs „Stadt Land Mama“. Rund 250.000 Leser monatlich verfolgen dort Beiträge zu Familienthemen, nicht selten werden die veröffentlichten Erfahrungsberichte anderer Eltern diskutiert und kritisiert.

Frauen haben mehr Angst vor dem Versagen als Männer

„Man merkt, wie sehr sich Mütter auch Identifikationsmöglichkeiten außerhalb ihres Kosmos suchen“, sagt Harmann. Schuld ist aber auch oft der eigene Perfektionismus, der den Vergleich mit anderen Müttern begünstigt. „Es sind nicht die anderen, sondern die eigenen Standards, die den Stress verursachen“, bestätigt Christine Altstötter-Gleich dieser Redaktion. Die Dozentin der Universität Koblenz-Landau forscht seit Jahren zum Thema Perfektionismus – auch zu dem unter Müttern.

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„Es gibt wenig Belege, dass Frauen perfektionistischer sind als Männer, allerdings haben sie mehr Angst, zu versagen.“ Es sei die Sorge, als Mutter und im Beruf nicht gleich gut glänzen zu können, was in der praktischen Umsetzung ein sehr hoher Anspruch ist, sagt Altstötter-Gleich. Berufstätigen Müttern rät sie, ihre Standards zu definieren. „Wenn ich weiß, was mein Ziel ist, können mich Meinungen und Bewertungen meiner Umwelt nicht verunsichern, und ich laufe nicht so leicht Gefahr, mir unrealistische Ziele zu setzen.“

Ein Umdenken in Richtung Humor findet statt

Den Kampf gegen den mütterlichen Perfektionismus hat übrigens in diesem Monat auch die Elternzeitschrift „Nido“ angekündigt, die Eltern laut Mitteilung „unverfälscht und auf Augenhöhe“ begegnen will. Auch Lisa Harmann setzt bei ihrem Blog lieber auf echtes Leben, statt auf perfekt dekorierte Cupcakes.

„Jede Mutter startet unter anderen Voraussetzungen und macht so gut sie kann“, sagt die Autorin. Wie sehr sie mit dem Motto „Fröhlich scheitern“ den Nerv ihrer Leser trifft, beweist ihr erfolgreichster Beitrag im vergangenen Monat auf Instagram: ein Foto ihres meterhohen Wäschebergs.