Berlin. In Großbritannien wurde in einer Woche erstmals mehr Geld mit Vinyl als mit Downloads verdient. Für den Trend gibt es mehrere Gründe.

Seit mehreren Jahren muss man sich von mindestens einer Person im Freundeskreis anhören, dass Vinyl wieder in ist und Schallplatten das beste Medium für Musik seien. Diese Behauptung wird nun durch die britische „Entertainment Resellers Association“ (ERA) bestätigt. In der vergangenen Woche überstiegen die Schallplattenverkäufe in Großbritannien erstmals die Download-Umsätze, wie Daten des Branchenverbandes zeigen.

Wie die BBC berichtet, wurden in dem gemessenen Zeitraum umgerechnet 2,84 Millionen Euro für Schallplatten ausgegeben, während es bei Downloads 2,49 Millionen Euro waren.Der Branchenverband ERA der Musik- und Elektronikhändler gibt regelmäßig Statistiken zu den Umsätzen der Industrie bekannt. Trotz der aktuellen Nachricht bleiben Schallplatten ein Nischenprodukt. Auf dem britischen Markt sorgt Vinyl wurden im Jahr 2015 2,1 Millionen Schallplatten, demgegenüber aber 53,6 Millionen CDs verkauft.

Streamingdienste übertreffen Vinylverkäufe

Auch in Deutschland wächst der Vinylmarkt. Wie der Bundesverband Musikindustrie in seinem Report für 2015 darstellte, sind die Vinylverkäufe im Vorjahr um 30 Prozent gestiegen auf rund 50 Millionen Schallplatten. Und auch in diesem Jahr dürfte es wieder eine Steigerung geben, denn allein bis September 2016 wurden bereits 47 Millionen Euro mit dem schwarzen Gold umgesetzt.

Doch bei aller Euphorie, die nun unter Schallplattenfans aufkommt, stellen die Vinylumsätze noch immer einen kleinen Teil in der Gesamtbilanz der Industrie dar. Noch immer werden fast zwei Drittel des Gesamtumsatzes in Deutschland und damit rund 1,1 Milliarden Euro mit CDs umgesetzt. Ähnliche Wachstumsraten von etwa 30 Prozent erreicht am Markt zudem das Streaming-Segment. Dienste wie Spotify, Napster und das deutsche Start-up Soundcloud setzten 2015 242 Millionen Euro um – 300.000 Euro mehr als auf dem Download-Markt.

Vier Gründe für den Erfolg von Vinyl

Trotz des beeindruckenden Aufstiegs von Streaming-Diensten verblüfft aber die Rückkehr der Schallplatte. Dafür gibt es vier Gründe: die Qualität des Produktes, die Künstler, die Konkurrenzmedien und ein allgemeiner Retrotrend. Alle vier Punkte verhelfen den Vinyl-Platten wieder zu hohem Ansehen – und das nicht nur unter DJs und Liebhabern.

Der Retro-Trend zeigt sich mittlerweile vielfach in unserem Alltag. Männer mit kunstvoll gezwirbelten Schnurrbärten, Frauen im Rockabilly-Look und Familien, die ohne Technik in der Wildnis Urlaub machen, sind keine Seltenheit mehr. Die Industrie reagiert auf den Retro-Trend: Im Drogeriemarkt stehen Bartpflegemittel ganz vorne, im Fernsehen werden alte Spiel-Shows aufgelegt und die Musik kommt eben von der Schallplatte.

Die Qualität spielt letztendlich auch beim Kauf von Tonträgern und Musikstücken eine Rolle. Und dabei schneiden Downloads laut einer Studie der Hongkong University of Science and Technology nicht gut ab – zumindest nicht im weit verbreiteten MP3-Dateiformat. Der Wissenschaftler Andrew Horner hat Probanten Musikpassagen in unterschiedlichen Qualitäten vorgespielt. Das Ergebnis: im MP3-Format klang ein Großteil der Passagen sehr viel trauriger als in anderen Formaten. Und wer will schon traurige Stimmung kaufen, wenn er eine warm klingende Schallplatte haben kann?

Bei der Qualität geht es jedoch nicht nur um den Klang, sondern auch darum, wie das Produkt verpackt ist. Bei einem Download bekommt der Kunde nichts weiteres als das digitale Musikstück. Eine Schalplatte hingegen wird mit einem großen Cover und bei Sondereditionen mit kleinen Heften oder Postern geliefert. Dieser Aufwand von Künstlern und Industrie hat dazu geführt, dass es für das Gesamtpaket eines Albums mittlerweile sogar eine Kategorie beim Musikpreis „Grammys“ gibt. Die aussichtsreichsten Kandidaten auf diesen Preis sind meist Vinyl-Veröffentlichungen. „Qualität wird bei den physischen Produkte sehr ernst genommen. Auch deshalb werden spannend geschnürte Pakete wie z.B. Sammel-Editionen angeboten“, heißt es vom deutschen Branchenverband.

Die Künstler haben auch einen großen Anteil daran, dass Vinyl wieder so beliebt ist. In diesem Jahr etwa haben David Bowie und zuletzt Metallica hoch gelobte Alben auch auf Vinyl herausgebracht. „Black Star“ von David Bowie erschien zwei Tage vor Bowies Tod. Für die Fans des Musikers, die meist selbst mit Vinyl aufgewachsen sind, war klar, dass die Schallplatte zum Erinnerungsstück werden musste. Das steigerte die Verkäufe. Das Metallica-Album „Hardwired To Self Destruct“ erschien zwei Wochen vor der Messung der Verkaufszahlen in Großbritannien.

Die Konkurrenzformate des Downloads haben aufgeholt. Dass die Download-Umsätze im Vergleich zum Schallplattengeschäft abgenommen haben, hat auch mit dem Aufstieg von Streaming-Diensten zu tun. Vor allem Kunden, die Downloads genutzt haben, um in Alben vor dem Kauf auf CD oder Vinyl zu testen, steigen wohl nun auf Streaming-Dienste um. Wie die BBC berichtet, kaufen Hörer, die Streaming-Dienste nutzen dann verstärkt Schallplatten und eben nicht die digitale Version eines Albums als Download.

Ähnliches weiß Florian Drücke für Deutschland zu berichten: „Der Vinyl-Kunde ist nicht zwangsläufig ein Offline-Nutzer“. Er nutze viel mehr durchaus auch digitale Angebote, wie zum Beispiel Streaming-Dienste.

Auch wenn es gute Gründe für den aktuellen Aufstieg der Schallplatte gibt, zeigt sich der Chef des Branchenverbandes ERA erstaunt. „Das ist ein weiterer Beweis für die Fähigkeit von Musikliebhabern, uns alle zu überraschen“, so Kim Bayley gegenüber der BBC.