Hamburg. Die Hauptausgabe der „Tagesschau“ meldete nicht die Festnahme im Freiburger Fall. Der Chefredakteur wird live auf die Kritik antworten.

Ein minderjähriger Flüchtlinge wird als Verdächtiger gefasst für den Sexualmord an einer jungen Frau, die in der Flüchtlingshilfe aktiv ist – und das in einer Stadt, die durch weitere Verbrechen verunsichert ist: Nachdem die „Tagesschau“ über diese Entwicklung im Mordfall Maria L. aus Freiburg nicht berichtet hatte, antwortet nun Chefredakteur Kai Gniffke den Kritikern. Um 15.30 Uhr soll es einen Livestream auf der Facebook-Seite geben, bereits zuvor hat er einen Blogbeitrag veröffentlicht.

In sozialen Netzwerken gibt es empörte Reaktionen, den „Tagesschau“-Machern wird vorgeworfen, sie hätten die Festnahme des 17-jährigen Afghanen bewusst verschwiegen. Gniffke legte am späten Sonntagabend noch einmal im Blog der „Tagesschau“ nach, nachdem die Redaktion sich bereits zuvor auf Facebook verteidigt hatte. Gniffke: „Die Tagesschau berichtet über gesellschaftlich, national und international relevante Ereignisse. Da zählt ein Mordfall nicht dazu.“

„Tat hob sich nicht ab von Mordfällen“

Die „Tagesschau“ ist bei Verbrechensthemen durchgehend zurückhaltend, in der Regel, ohne dass Zuschauer das beklagen. Darauf hebt auch Gniffke ab: Bei 300 Mordfällen im Jahr in Deutschland habe die Redaktion nach der Tat in Freiburg geprüft, ob sich der Fall von anderen abhebe. Weil das nicht der Fall gewesen sein, habe die Redaktion den Fall nicht gemeldet – und auch bei der Verhaftung des Tatverdächtigen diesen Maßstab nicht verschoben: „Die Herkunft des mutmaßlichen Täters hat also mit dieser Entscheidung nichts zu tun.“

Für die Kritiker schon, die durch die Herkunft in dem Fall ein gesamtgesellschaftliches Thema sehen: In der Debatte um Flüchtlinge werden mutmaßlich von Migranten begangene Verbrechen als Beleg für Merkels verfehlte Asylpolitik interpretiert. Ein Nicht-Thematisieren wird als Bevormundungsversuch angeprangert, zugleich wird durch viele Beiträge in sozialen Medien der Eindruck einer großen Debatte verstärkt.

Der nordrhein-westfälische AfD-Landeschef Marcus Pretzell retweetete einen Kommentar: „Was sagt es uns wenn das amerikanische FoxNews von #Freiburg berichtet aber weder @tagesschau noch @ZDFheute?“ Die ZDF-Nachrichtensendung hatte die Nachricht allerdings zumindest vermeldet, die „Tagesschau“ dagegen nur in ihrem Internetauftritt.

Gniffke: Der Fall hat „Gesprächswert“

Gniffke räumte im Blogbeitrag ein, dass auch anders hätte entschieden werden können. „Man hätte mit dem Gesprächswert dieses Mordfalls argumentieren können, denn tatsächlich hatten die beiden jüngsten Vergewaltigungs- bzw. Mordfälle in Freiburg zu einer größeren Aufmerksamkeit der Medien geführt, auch über die Region Freiburg hinaus.“ Ein Zusammenhang sei aber bisher unklar, und die Tagesschau gewichte den Gesprächswert eines Themas etwas geringer gegenüber dem Kriterium der Relevanz. Gniffke baut auch vor: „Bei einem Mordopfer von fehlender Relevanz zu sprechen (...) klingt zynisch.“

Zuvor hatte die „Tagesschau“ unter einem Link zur Berichterstattung des Südwestrundfunks ihre Vorgehensweise bereits zu erklären versucht.

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Für viele Nutzer war da vor allem die Formulierung provozierend, der Fall habe eine „regionale Bedeutung“. Ein User schrieb etwa: „Millionen von Menschen bewegt das Thema, sogar weltweit und tagesschau redet von ,regionaler Bedeutung’ – ich schäme mich fremd.“

DPA prüfte Nennung von Nationalität

Der minderjährige Verdächtige war am Freitag festgenommen worden. Es handelt sich um einen unbegleiteten Flüchtling, der im vergangenen Jahr aus Afghanistan eingereist war und bei einer Familie in Freiburg lebte. Die 19-jährige Studentin war Mitte Oktober auf dem Heimweg von einer Party vergewaltigt worden und starb nach Polizeiangaben durch Ertrinken.

Die Deutsche Presse-Agentur (dpa) hatte den Hintergrund des Täters in ihrer Berichterstattung sofort genannt. Ihr Nachrichtenchef Froben Homburger erklärte auf Twitter, die öffentliche Bekanntgabe auf der live übertragenen Pressekonferenz habe dafür gesprochen. Weil es auch um einen möglichen Serientäter gehe, bestehe auch ein berechtigtes Informationsinteresse an Details. „Es gibt keine Schablone, wir müssen jeden Einzelfall bewerten“, so Homburger. Er war unter Verweis auf den Pressekodex gefragt worden, warum dpa die Nationalität genannt hatte.

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Nach Verbrechen in Hamburg Kritik am ZDF

Auch die ZDF-Redaktion von „heute plus“ hatte sich zuletzt nach im Netz verbreiteten Vorwürfen rechtfertigen müssen. Die Nachrichtensendung im Zweiten hatte nicht über den Mord an einem 16-Jährigen in Hamburg berichtet, der von einem als „südländisch“ beschriebenen Täter erstochen worden sein soll. Damals erläuterte der stellvertretende Chefredakteur Elmar Theveßen das Vorgehen.

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Der Fall bekam im Nachhinein noch mehr Aufmerksamkeit, nachdem die Terrormiliz IS etliche Tage später die Tat für sich reklamierte. Die Behörden halten das weiterhin für sehr unwahrscheinlich, die IS-Erklärung provozierte aber Reaktionen von Rechtsextremen.

Empörung abhängig vom Täter

Wie Empörung an- und auch ganz schnell wieder abschwellen kann, zeigte sich nach dem Angriff auf ein Altenheim für Mönche in Frankreich Ende November. Dabei war eine Frau getötet worden. In der Tatnacht empörten sich Nutzer aus dem Umfeld der AfD, dass deutsche Medien nicht berichten. Am Morgen verschwanden die Forderungen an die Medien: Inzwischen war klar, dass der Täter ein Fallschirmjäger und ein terroristischer Hintergrund sehr unwahrscheinlich war. Damit war für die, die nachts auf das Twitter noch das Versagen der Medien angeprangert hatten, die Meldung dann nicht mehr relevant. (law)