London. Missbrauchsskandal im britischen Fußball zieht immer größere Kreise. Über 350 Opfer haben sich bislang über eine Hotline gemeldet.

Der Missbrauchsskandal im britischen Fußball nimmt immer größere Ausmaße an. Nachdem in den vergangenen Wochen mehrere ehemalige Fußballprofis öffentlich berichteten, in ihrer Jugend sexuell missbraucht worden zu sein, melden sich jetzt weitere Opfer. Bei den Polizeibehörden gingen bisher mehr als 350 Anrufe von Opfern ein. Der britische Kinderschutzbund NSPCC richtete ein Sorgentelefon ein.

„Wir hatten einen überwältigenden Anstieg bei unserer Fußball-Helpline“, sagte NSPCC-Chef Peter Wanless, „der das beunruhigende Ausmaß des Kindesmissbrauchs im Sport enthüllt“. Binnen einer Woche hat die NSPCC über 860 Anrufe erhalten und verwies 60 Fälle davon weiter an die Polizei. Greg Clarke, der Vorsitzende des britischen Fußballverbands FA, spricht von der „größten Krise“, die der britische Fußball je erlebt habe. Der Verband hat inzwischen eigene Ermittlungen angekündigt.

Andy Woodward brachte Stein ins Rollen

Den Stein ins Rollen gebracht hatte Andy Woodward. Der 43-jährige Ex-Fußballprofi enthüllte in einem Interview mit der Zeitung „Guardian“, wie er als Nachwuchsfußballer beim Club Crewe Alexandra missbraucht wurde. Der Club galt damals als Talentschmiede, weil dort Barry Bennell arbeitete, einer der besten Jugendtrainer des Landes. „Ich wollte einfach nur Fußball spielen. Ich sah Crewe als den Beginn eines Traums. Aber ich war auch sensibel, und auf die sensiblen, schwachen Jungs hatte Bennell es abgesehen.“

Der Jugendtrainer als Kinderschänder. Barry Bennell hatte Woodward von Anfang an und über eine lange Zeit sexuell missbraucht. Mit einer Mischung aus Gewalt, Verlockungen und Drohungen stellte Bennell sicher, dass sein Opfer ihn nicht verriet. „Ich war zu Tode verängstigt. Er hatte mich total im Griff“, so Woodward. Anvertrauen konnte er sich damals niemandem. Die gefühlte Schande war zu groß. Dabei war es im Club durchaus bekannt, dass Bennell ein Faible für kleine Jungs hatte.

Auch aktuelle Fälle kommen ans Licht

Die Enthüllungen des Verteidigertalents Woodward, dessen Fußballkarriere unter den seelischen Folgen des Missbrauchs zerbrach, erregten großes Aufsehen und führten dazu, dass andere Fußballspieler an die Öffentlichkeit gingen. Ian Ackley, der ebenfalls bei Crewe trainiert hatte, klagte Barry Bennell ebenfalls an: „Es war die ganze Bandbreite des Missbrauchs. Es gab keine Limits für ihn.“ Auch Ex-Nationalspieler Paul Stewart brach sein Schweigen und bezichtigte einen weiteren Jugendtrainer. Auch Jason Dunford berichtete von Komplizen, die Bennell gehabt haben soll: „Ich glaube, es gab eine Verschwörung und einen Pädophilenring“, sagte er der BBC.

Barry Bennell ist bisher drei Mal wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern zu insgesamt 15 Jahren Haft verurteilt worden. Zur Zeit steht er wieder unter Anklage wegen des Missbrauchs eines 13-jährigen Jungen in acht Fällen. Er lebt unter falschem Namen in Milton Keynes und wurde vor einigen Tagen aufgrund eines angeblichen Selbstmordversuchs ins Krankenhaus eingeliefert. Der Mann, der sich selbst vor Gericht einst als „Monster“ bezeichnete, dürfte Hunderte von Opfern auf dem Gewissen haben, aber er ist nicht der einzige Jugendcoach, der sich an seinen Schutzbefohlenen verging.

Zwei weitere pädophile Fußballtrainer

Die Namen von mindestens zwei weiteren pädophilen Fußballtrainern wurden ins Spiel gebracht. David Ormond, der bei Newcastle United den Nachwuchs heranzog, wurde 2002 wegen Kindesmissbrauchs verurteilt. Und der inzwischen verstorbene Eddie Heath soll als Talentscout beim FC Chelsea in den 80er- und 90er-Jahren sein Unwesen getrieben haben.

Die allermeisten der jetzt bekannt gewordenen Fälle stammen aus den 80er- und 90er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Seitdem hat sich viel verändert im Fußball. Jugendtrainer müssen ein tadelloses Führungszeugnis haben, und in den Vereinen des britischen FA gibt es rund 8500 Personen, die mit der Absicherung des Kindeswohls beauftragt sind. Und doch kann man nicht sicher sein, dass sich Taten wie die von Bennell oder Ormond nicht auch heute noch wiederholen. Unter den zahlreichen Anrufen, die bei der Hotline der NSPCC eingingen, seien, so ein Pressesprecher, „auch einige aktuelle Fälle“.

Missbrauch in Sportvereinen verhindern

Der Skandal wirft auch in Deutschland die Frage auf, ob hierzulande alles getan wird, um Missbrauch in Sportvereinen zu verhindern. Der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, warnte, Kindesmissbrauch könne „täglich und überall passieren“. Er rief Vereine und Schulen dazu auf, „hinzuschauen und kritisch zu überprüfen“, ob Präventionsmaßnahmen umgesetzt werden. Auch in Deutschland gibt es strenge Auflagen für Vereinstrainer.

So müssen selbst ehrenamtliche Betreuer regelmäßig ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen. Bei gerichtlichen Verurteilungen eines Mitarbeiters muss der Verein die Zusammenarbeit beenden.