Berlin. In Thüringen stirbt ein jugendlicher Flüchtling nach einem Fenstersturz. Unklar ist, ob Anwohner ihn zum Springen aufgefordert haben.

Nach dem Suizid eines jugendlichen Flüchtlings im thüringischen Schmölln vom Freitagnachmittag ist noch immer nicht geklärt, ob ihn Anwohner tatsächlich ermuntert haben, von dem Fenstersims zu springen. Die Polizei äußerte sich bis zum frühen Sonntagmorgen nicht zu dem Ergebnis der Befragung einer Frau, die kurz vor dem Sprung des Jugendlichen entsprechende Rufe gehört haben soll.

Schmöllns Bürgermeisters Sven Schrade (SPD) hatte angedeutet, dass solche Worte gefallen sein könnten. Die Angaben dazu sind aber widersprüchlich. Der junge Mann aus Somalia war aus dem fünften Stock eines Hochhauses gesprungen und im Krankenhaus seinen schweren Verletzungen erlegen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.

Polizisten wollen nichts gehört haben

Nach Angaben einer Mitarbeiterin der Flüchtlingswohngruppe des Meuselwitzer Bildungszentrums hätten einige Anwohner dem Jungen zugerufen, er solle springen. Der „Süddeutschen Zeitung“ bestätigte David Hirsch, Geschäftsführer der Betreuungseinrichtung, dass Mitarbeiter die Rufe ohne Zweifel gehört hätten.

Die Polizei hingegen teilte mit, die Einsatzkräfte vor Ort, die ankamen, als der Jugendliche noch auf dem Fenstersims saß, hätten keine Aufforderung zum Springen gehört. Unserer Redaktion sagte Stefan Erbse, Schichtleiter der Einsatzzentrale Erfurt, dass den Polizisten im Einsatz „weder Informationen dazu bekannt sind noch haben sie von umstehenden Personen Äußerungen wahrgenommen“.

„Das ist nicht tolerierbar“

Bürgermeister Schrade schrieb auf seiner Facebook-Seite von dem Verdacht, dass der Jugendliche zum Springen ermuntert worden sein soll. „Wenn dies der Fall gewesen sein sollte, ist das nicht tolerierbar. Es ist verachtenswert, ja unmenschlich. Ob Geflüchtete oder hier Lebende: Wir alle sind Menschen. Eine Selbstverständlichkeit, die nicht ausgesprochen werden muss.“

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Zahlreiche Beobachter aus der Nachbarschaft

Laut Stefan Erbse von der Einsatzzentrale in Erfurt hat die Polizei zumindest eine anwesende Person vor der Wohngruppe aufgefordert, dass Filmen mit der Handykamera einzustellen. Dies sei aus „Pietätsgründen“ erfolgt. Der Passant sei noch vor Ort gebeten worden, das Video zu löschen, was er vor den Augen der Beamten auch getan habe.

Die „Ostthüringer Zeitung“ schreibt, dass auch von umliegenden Balkonen Anwohner möglicherweise das Geschehen mit dem Handy gefilmt hätten. Darüber hinaus hätten 20 bis 30 Menschen den Vorfall beobachtet.

Jugendlicher in psychologischer Behandlung

Unterschiedliche Angaben gibt es zum Alter des unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings. So spricht das zuständige Landratsamt von einem 16-Jährigen, die Polizei hingegen von einem 17-Jährigen. Schmöllns Bürgermeister Schrade schreibt auf Facebook, er sei 15 Jahre alt gewesen.

Nach Angaben des Landratsamts ist der Jugendliche vor fünf Monaten nach Schmölln gekommen. Wegen Verhaltensauffälligkeiten sei er wiederholt in psychiatrischer Behandlung gewesen. Zuletzt sei er am Freitagmorgen aus der Klinik entlassen worden, also unmittelbar vor dem Fenstersturz.

Die Polizei teilte mit, sie sei gerufen worden, weil der Jugendliche randaliert habe. Trotz Bemühungen der Feuerwehr und des Rettungsdienstes habe der Sturz nicht verhindert werden können. (mit epd)

Anmerkung der Redaktion: Aufgrund der hohen Nachahmerquote berichten wir in der Regel nicht über Suizide oder Suizidversuche, außer sie erfahren durch die Umstände besondere Aufmerksamkeit. Wenn Sie selbst unter Stimmungsschwankungen, Depressionen oder Selbstmordgedanken leiden oder Sie jemanden kennen, der daran leidet, können Sie sich bei der Telefonseelsorge helfen lassen. Sie erreichen sie telefonisch unter 0800/111-0-111 und 0800/111-0-222 oder im Internet auf www.telefonseelsorge.de. Die Beratung ist anonym und kostenfrei, Anrufe werden nicht auf der Telefonrechnung vermerkt.