Rom/Berlin. Die Verurteilung von sieben italienischen Erdbeben-Experten zu langjährigen Haftstrafen empört die Fachwelt. Der Chefexperte für die Bewältigung von Naturkatastrophen in Italien trat nach dem umstrittenen Urteil zurück.

«Ich sehe nicht die Bedingungen, um in Frieden zu arbeiten», sagte Luciano Maiani am Dienstag. Laut dem Urteil vom Montag hatten die Wissenschaftler die Bevölkerung nicht ausreichend vor dem schweren Erdbeben in den Abruzzen im April 2009 gewarnt. Damals waren mehr als 300 Menschen gestorben. Auch bei deutschen Seismologen stieß das Urteil auf Unverständnis.

Maiani war Präsident einer von der Regierung ernannten Expertenkommission, die Behörden zu den Risiken von Erdbeben, Vulkanausbrüchen, Chemieunfälle und anderen Katastrophen berät. Weitere Mitglieder würden ebenfalls ihre Ämter aufgeben, sagte er.

«Die Wissenschaft ist nicht in der Lage, Erdbeben vorherzusagen», sagte Christian Bönnemann, Leiter des Seismologischen Zentralobservatoriums der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover. «Ich halte das für ein krasses Fehlurteil.» Sollte das Urteil von L'Aquila nicht in der nächsten Instanz aufgehoben oder reduziert werden, befürchtet Bönnemann gravierende Folgen für alle öffentlichen Aussagen von Erdbebenforschern. «Seismologen müssten dann extrem vorsichtig sein und auch bei jedem Verdacht vor einem möglicherweise bevorstehenden Beben warnen.» Die Folge: Niemand nähme die Warnungen mehr ernst.

Dreieinhalb Jahre nach dem schweren Beben vom 6. April 2009 hatte am Montag ein Gericht in L'Aquila sein Urteil gefällt. Die Wissenschaftler und Zivilschutzbeamten hätten die Bevölkerung nur «ungenau, unvollständig und widersprüchlich» über Gefahren informiert, lautete die Anklage.

«Das Gerichtsurteil ist problematisch aus mehrerlei Hinsicht», sagte der Leiter der Abteilung Geo-Risiken der Munich Re, Anselm Smolka, sagteder dpa. Denn eine «wissenschaftlich fundierte Erdbebenvorhersage ist schlicht nicht möglich». Auch eine erhöhte Aktivität, wie sie im Raum L'Aquila in den Monaten vor dem Beben 2009 beobachtet wurde, sei kein Hinweis auf ein bevorstehendes größeres Beben. «Die Kommission konnte deshalb zu keiner anderen Schlussfolgerung kommen als der amtlich veröffentlichten», sagte der Erdbebenexperte der Münchener Rückversicherung.

Peter Herzig, Direktor am Kieler Geomar-Institut, Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung, sagte, eine Vorhersage von Erdbeben sei «mit letzter Sicherheit» nicht möglich. Man habe zwar Anzeichen für Naturkatastrophen, aber «das ist keine Wissenschaft, in der man zwei und zwei zusammenzählt, und dann kommt vier heraus». Solche Vorhersagen könne keiner treffen.

«Wir werden in Zukunft noch vorsichtiger kommunizieren müssen», sagte auch der Direktor des Schweizerischen Erdbebendienstes, Stefan Wiemer. Die italienischen Kollegen hätten wissenschaftlich alles richtig gemacht. Sogenannte Schwarmbeben, wie sie 2009 in der Region von L'Aquila auftraten, könnten zwar Vorboten größerer Beben sein, jedoch sei dies bei weniger als einem Prozent der Fall. Eine Studie seines Instituts sei zu dem Schluss gekommen, dass eine «Schwarmbeben-Aktivität nicht zu einer allgemeinen Evakuierung führen sollte», sagte Wiemer.

«Wissenschaftler müssen einfach korrekt die Ergebnisse wiedergeben - mehr nicht», sagte der Geophysiker Jochen Zschau vom Deutschen Geoforschungszentrums in Potsdam. Es sei nicht ihre Aufgabe, die Leute zu beruhigen. «Das ist Aufgabe des Zivilschutzes oder anderer.» Der Experte begrüßte, dass das Urteil eine Diskussion über die unsicheren Erkenntnisse der Wissenschaft anrege. (dpa)

BGR

Schweizerischer Erdbebendienst