Braunschweig. Die Präses der Synode der EKD spricht darüber, warum kurzfristiges Engagement genauso viel wert ist wie langfristiges Engagement.

Sie ist 28 Jahre jung, in Bayern aufgewachsen und groß geworden, hat einen Rettungsschwimmerschein, lebt in einer Vierer-WG mit ihrem Ehemann, ist getauft und engagiert sich seit ihrer Kindheit ehrenamtlich: Anna-Nicole Heinrich. Mit einem Alter von 25 Jahren bei Amtsantritt ist sie die jüngste Präses in der Geschichte der Synode der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD) und wird im Mai beim Gemeinsam-Preis die Festrede halten. Wir haben mit ihr über den Blick einer starken, unabhängigen, jungen Frau auf die Welt, das verstaubte Image der Kirche und die Herausforderungen im Ehrenamt gesprochen.

Wie würden Sie einer unserer jüngsten Nominierten beim Gemeinsam-Preis erklären, was eine Präses der Synode der EKD ist?

Ich würde sagen, dass die Präses so etwas wie die Klassensprecherin der Synode, also des höchsten kirchlichen Parlaments, ist. Die Synode setzt sich aus haupt- und ehrenamtlichen Engagierten zusammen, entscheidet über ganz viele verschiedene Dinge wie etwa Geld und Gesetze – also unsere gemeinsamen Regeln. 128 Personen kommen bei uns in der Synode zusammen, und als Präses moderiere ich diese Treffen und vertrete die Entscheidungen dann in der Öffentlichkeit.

Wie sind Sie zur Kirche gekommen?

Ich komme aus einem nicht-christlichen Elternhaus. Meine Eltern kommen aus Thüringen und hatten keinerlei Kontakt zur Kirche oder Religion. Kurz vor meiner Geburt sind sie dann nach Bayern gezogen. Als ich in die Schule gekommen bin, ist es das erste Mal Thema gewesen, dass ich nicht getauft war. Damals musste ich mich zwischen katholischem und evangelischem Religionsunterricht entscheiden – etwas anderes gab es da nicht. Dann durfte ich mir je eine Woche beide Unterrichte anschauen, und der evangelische Religionsunterricht hat mir einfach mehr zugesagt. Dort habe ich dann auch sehr schnell Freunde gefunden, die haben mich wiederum mit zum Kindergottesdienst genommen. Ich bin mit auf Kinder- und Jugendfreizeiten gefahren und so einfach in diese Gemeinschaft reingewachsen. Und dann habe ich mich auch taufen und konfirmieren lassen.

Hat auch der Rest Ihrer Familie dadurch einen Zugang zum Glauben gefunden?

Meine Mutter hat sich tatsächlich mit mir zusammen taufen lassen. Ich denke, das war ein sehr geschickter Schachzug des Pfarrers, ein weiteres Gemeindemitglied zu gewinnen. (lacht) Meine kleine Schwester ist mit mir von klein auf zu Kinder- und später auch Jugendfreizeiten gefahren und hat sich kurz vor ihrer Konfirmation auch taufen lassen. Kirche und Glaube waren und sind also Teil unserer Familie.

Für Sie hörte das Engagement in der Kirche jedoch nicht mit der Konfirmation auf – Sie haben sich dann sogar für den Job der Präses entschieden, warum?

Also erstmal habe ich mich nicht entschieden, sondern wurde gewählt, was mich natürlich sehr freut. Ganz allgemein habe ich Kirche immer als Ermöglichungsraum erlebt. Ich habe relativ früh, mit 13 oder 14 Jahren, gemerkt, dass alles, was ich Cooles in der Gemeinde machen kann, nur funktioniert, weil andere sich einbringen und es ermöglichen. Irgendwann wollte ich nicht nur mitmachen, sondern auch mitreden, anderen das ermöglichen, was ich Gutes erlebt habe. So bin ich in ein Mitbestimmungsgremium in der Jugendarbeit gekommen – erst bei mir im Kirchenkreis in Cham, dann später auch in der Evangelischen Jugend in Bayern. Während der Abizeit habe ich mich dann auf Bundesebene im evangelischen Jugendverband engagiert. 2018 wurde ich Jugendvertreterin in der 12. Synode der EKD. Und meine Landeskirche hat mich dann 2021 als Mitglied für die aktuelle, die 13. Synode, gewählt. Mir geht es darum, auch in Zukunft Menschen Glaubensleben zu ermöglichen und von Jesus Christus zu erzählen. Als Jugendvertreterin hatte ich mich intensiv in den Zukunftsprozess der EKD eingebracht, mitüberlegt, wie Glaube heute erlebbar werden kann. Vielleicht war das auch ein Grund, warum ich dann zu Beginn der neuen Synodalperiode von anderen Synodalen für das Amt der Präses vorgeschlagen wurde.

Eine mutige Entscheidung – von allen Seiten…

Auf jeden Fall. Für mich war es schon eine riesige Ehre, dass ich als Präses in Betracht gezogen wurde. Nach vielen Gesprächen in den beiden Tagen vor der Synode habe ich mich dann entschieden, mich für eine Nominierung zur Verfügung zu stellen. Mutig, würde ich sagen, war dann vor allem die Entscheidung der Synode, dass sie mich auch gewählt hat. Dass sie sich darauf eingelassen hat, dass ich an einigen Stellen sicher eine andere Art, eine andere Sprache und einen anderen Blick auf die Dinge mitbringe, als sie es bisher oft gewohnt war. Ich bin froh, dass wir uns das gemeinsam getraut haben.

Noch mal kurz zurück zum Begriff „Jugendvertreter“. Was genau ist das in der Synode?

2018 war es noch so, dass Jugendvertreterinnen und Jugendvertreter keine vollberechtigten Mitglieder der Synode waren, also kein Stimmrecht hatten, sondern nur Gäste waren. Als Jugendvertreter haben wir mit anderen sehr dafür gekämpft, dass sich das ändert. Auch junge Leute haben viel einzubringen, können Verantwortung übernehmen, sind Teil unserer Kirche. Das sollte auch evangelische Kirche in ihrer Synode nutzen. Und so haben wir in der Synode eine Gesetzesänderung auf den Weg gebracht, die dann tatsächlich verabschiedet wurde. Zum Konstituierungszeitpunkt der aktuellen Synode waren daher knapp 20 Prozent der Teilnehmer unter 27 Jahre alt. Das ist schon richtig mächtig und stellt eine krasse Verjüngung der Synode dar.

Sie haben das Amt insgesamt sechs Jahre inne. Knapp drei Jahre sind bereits vergangen. Was sind Ihre Ziele?

Erstmal geht’s ja drum, dass der Glaube an Gott, dass das, was uns so viel Halt gibt, Sprache findet, Ausdruck findet. Die Leute müssen sehen können, was es uns gibt, Gott in unserem Leben zu haben. Das war auch der Schwerpunkt unserer vergangenen Tagung: die Sprach- und Handlungsfähigkeit im Glauben.

Zum anderen haben wir uns als Synode sehr für den innerkirchlichen Klimaschutz und auch weitergehend für die Bewahrung der Schöpfung stark gemacht und dafür auch klare Zielmarken gesetzt. Wir haben hier mit der Klimaschutzrichtlinie bereits einen Rahmen für die gesamte evangelische Kirche gesetzt und ein Monitoring eingeführt, sodass wir auch sehen, wie und wann die gesteckten Ziele erreicht werden, aber auch wie und wann und wo wir nachsteuern müssen.

Und natürlich beschäftigt uns intensiv die Aufarbeitung und Prävention sexualisierter Gewalt. Wir wollen den Weg der Aufarbeitung konsequent weitergehen. Mir ist dabei ein offener Umgang mit dem Thema und die Beteiligung der betroffenen Personen wichtig. Ich möchte, dass die Grundhaltung sichtbar wird, dass der Schutz vor sexualisierter Gewalt an allen Stellen, von der Leitungsebene bis zum Kirchenvorstand, vom Kirchenamt bis zur Gemeindefreizeit, Priorität hat.

Und persönlich möchte ich, dass wir uns noch stärker mit dem Thema beschäftigen, wie Kirche in einer digitalen Zeit aussehen kann. Wie können wir über die bestehenden Kirchenmauern hinaus zu einer ebenso digitalen Community werden, die nicht nur von den bestehenden Strukturen her denkt, sondern die weit über Kirchengemeindegrenzen hinaus wirkt und möglichst weg von solchen Grenzziehungen kommt? Mein Wunsch wäre, dass es ganz selbstverständlich ist, das Angebot der Kirche zuerst im digitalen Raum kennenlernen zu können und sich, darauf aufbauend, für Angebote für Ort begeistern zu lassen. So wie das beispielsweise bei großen Café-Ketten auch der Fall ist: Ich kenne die Gemeinschaft und das Angebot aus dem digitalen Raum, und dann weiß ich, ich kann zu jedem Ort mit Kirchturm gehen und dort erwartet mich ein verlässlich gutes Angebot, auf das ich mich freuen kann. Kirche wäre dann eine digitale Organisation mit realen Orten, wo ich, egal wo, mal richtig gern sein kann und will.

Das Amt der Präses ist ein Ehrenamt. Wie sind Sie persönlich das erste Mal mit Ehrenamt in Berührung gekommen?

Vermutlich bin ich das erste Mal mit etwa fünf, sechs Jahren mit Ehrenamt in Berührung gekommen – bei der Wasserwacht beziehungsweise bei meinem Schwimmkurs. Dort waren alle Trainer:innen und viele in der Badeaufsicht Ehrenamtliche. Ich blieb da dabei, habe dann selbst meinen Rettungsschwimmerschein gemacht, eine Sanitätsausbildung und dann später auch Aufsichtsdienste im Schwimmbad und Sanitätsdienste beim Roten Kreuz übernommen. Parallel dazu bin ich dann auch immer engagierter in der evangelischen Jugendarbeit geworden.

Welche Bedeutung hat ehrenamtliches Engagement für Sie?

Ganz vieles hätte ich persönlich ohne das Ehrenamt niemals entdeckt oder erlebt. Das Engagement hat mir immer ein unglaubliches Empowerment gegeben – gerade in Phasen, in denen man eigentlich oft Selbstzweifel hat.

Noch bedeutender ist das Engagement aber für unsere Gesellschaft und ihren Zusammenhalt. Die Demokratie, aber auch die Kirche lebt vom engagierten Mitmachen. Ich sehe mich daher auch in der Verantwortung, mich einzubringen und mitzugestalten. Aber ich nehme natürlich auch viel Kompetenzen aus meinem Ehrenamt mit. Und gerade beim Engagement in der Kirche, umgeben von Menschen, die sich für das Einsetzen, was mir selbst auch wichtig ist, da merke ich immer wieder, wie stark es ist, dass wir alle die Hoffnung haben, dass diese Welt eine andere werden kann. Diese gemeinsame Hoffnung macht Spaß und gibt Kraft, weiter Sachen voran zu bringen.

Nachwuchsprobleme im Ehrenamt sind jedoch nicht von der Hand zu weisen. Das Image der Kirche wirkt sogar ein wenig eingestaubt. Haben Sie Ideen, wie das geändert werden kann?

Wir brauchen in der Kirche in Sachen Ehrenamt einen Paradigmenwechsel. Früher gab es ein Projekt und dann war die Frage: Wer macht das jetzt ehrenamtlich? Heute läuft es eher andersherum. Wir sollten immer die Frage stellen: Was kannst du? Was machst du gerne? Wo würdest du dich gerne einbringen? Wo kannst du deine Stärken der Gemeinschaft nützlich machen? Und am entscheidendsten ist der Zeitfaktor. Wir müssen umdenken. Kurzfristiges Engagement ist genauso so viel wert wie langfristiges Engagement. Und als Organisation müssen wir das dann auch möglich machen. Ehrenamt ist auch auf Zeit möglich, einmal Turboehrenamt kurz und heftig und gut is’. Außerdem braucht es ausreichend Fort- und Weiterbildungsangebote für Ehrenamtliche, sodass jeder auch etwas für sich selbst mitnehmen kann.

Was wünschen Sie sich für das Ehrenamt?

Ich wünsche mir, dass Ehrenamt nicht so exklusiv bleibt, wie es aktuell ist. Ehrenamt muss man sich zeitlich und finanziell leisten können. Das ist schade und sollte anders sein. Wir müssen Wege und Mechanismen finden, um Einstiege ins Ehrenamt und das Dabeibleiben leichter zu machen.