„Die Akteure haben die Pflicht, das Wahlergebnis vom 24. September zu respektieren und eine Regierung zu bilden.“

Die Jamaika-Gespräche glichen gelegentlich Therapie-Sitzungen, in denen Selbstverliebtheit, Profilierungshunger oder rhetorische Kirmesboxeinlagen im Vordergrund standen. In der Berliner Binnensicht ging der Blick auf das große Ganze verloren. In Zeiten, in denen die USA unter Präsident Donald Trump auf einen wirtschaftsnationalistischen Kurs abdriften, Russland aufrüstet, China eisern seine ökonomischen Weltmacht-Ambitionen umsetzt und der Nahe Osten ein neues Pulverfass zu werden droht, muss Europa mit kühlem Kopf gegensteuern. Das geht aber nur mit einem entscheidungsfähigen Deutschland, das die Initiative ergreift. Daher: Schluss mit der Nabelschau! Eine geduldete Minderheitsregierung, die sich für jedes Thema eine Mehrheit suchen muss, würde die Bundespolitik durch die globale Brille betrachtet in einen Provinzbasar verwandeln. Auch Neuwahlen sind keine Alternative. Man kann die Bürger nicht so lange an die Urnen bitten, bis einem das Resultat passt. Es ist das Verdienst von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der parteipolitischen Kleingeisterei Grenzen zu setzen. Die Akteure haben die Pflicht, das Wahlergebnis vom 24. September zu respektieren, Kompromisse zu schmieden und eine Regierung zu bilden. Steinmeiers Treffen mit den Chefs von CDU, CSU und SPD in der kommenden Woche darf als klares Signal für eine Neuauflage der Großen Koalition gewertet werden. Die SPD hat sich bislang geziert. Aber eine Große Koalition hätte für sie zwei Vorteile: Als Teil der Bundesregierung könnten die Sozialdemokraten zusammen mit Kanzlerin Angela Merkel das deutsch-französische Tandem stärken und Europa mitgestalten. Im Kabinett hätten sie einen Hebel wie lange nicht. Obwohl die Genossen das schlechteste Wahlergebnis seit 1949 eingefahren haben, könnten sie der „Groko“ ihre Handschrift aufdrücken. Merkel ist auf sie angewiesen.