„Die Berliner Sondierungen gehen in einem Klima vonstatten, das sich eher nach Feuerland als nach Jamaika anfühlt. Das muss kein schlechtes Zeichen sein.“

„Es gibt erfülltes Leben trotz vieler unerfüllter Wünsche.“


Dietrich Bonhoeffer

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Der Feiertag, mit dem Deutschland des Beginns der Reformation vor 500 Jahren gedachte, war diese Woche für ein wenig Erholung und mindestens eine Erkenntnis gut: Eine Kirche kann eine ganze Menge Menschen in Bewegung setzen – wenn sie öffentlich wird, sich auf die Menschen zubewegt, wenn sie die Menschen interessiert. Darin steckt eine Aufforderung für die ganze, lange, jubiläumsfreie Zeit. Die Diskussion über unsere Grundwerte, über das, was wirklich wichtig ist, hat nicht nur im Jubi- läumsjahr solche Aufmerksamkeit verdient.

Auch unsere Sonderausgabe „Werte & Wandel“ diente diesem Ziel. Über die positive Resonanz bei unseren Leserinnen und Lesern haben wir uns sehr gefreut. Einige schrieben uns, sie hätten viel Lesestoff für dieses Wochenende übrig – sage noch einer, die Zeitung von gestern habe keinen Wert.

Unterdessen sorgt auch ein Brückentag nicht automatisch für den Brückenschlag zwischen politischen Lagern. Die Berliner Sondierungen gehen offenbar in einem Klima vonstatten, das sich eher nach Feuerland als nach Jamaika anfühlt. Das muss kein schlechtes Zeichen sein. Die gerade einmal 31 Tage dauernde Ratz-Fatz-Verhandlung nach der Bundestagswahl 2009 hatte eine Kehrseite. Weil alle Parteien nur ihre Wahlversprechen addiert hatten, fehlte dem schwarz-gelben Koalitionsvertrag die inhaltliche Linie. Es ist nur logisch, dass die Regierungspolitik häufiger nach Potpourri klang als nach Sinfonie.

Wichtig wäre, dass diesmal nicht Klientelbedienung die erste Geige spielt, sondern die Richtigkeit in der Sache. Sehr unterschiedliche Ausgangspositionen können dazu führen, dass man sich die Einigung über die Definition gemeinwohldienlicher Ziele erarbeitet. Wenn, um ein Beispiel zu nennen, der agrarpolitische Kompromiss zwischen Konservativen und Alternativen darin läge, dass kleine Betriebe gestärkt werden, Landschaftspflege belohnt und Qualität marktwirtschaftlich gesichert wird, hätte das schwarz-gelb-grüne Konglomerat etwas geschafft, das bisher weder Rot-Grün noch Schwarz-Gelb oder Schwarz-Rot zuwege brachten. Extrempositionen wie die grüne Forderung nach einem Zulassungsverbot von Verbrennungsmotoren werden sich nicht durchsetzen – eine derart monumentale Vernichtung von Sachwerten und Arbeitsplätzen werden CDU/CSU und FDP nicht mittragen.

Am Ende dieser Woche sieht es so aus, als könnte die Regierungsbildung in Niedersachsen deutlich leichter fallen als im Bund. Nachdem sich FDP und Grüne selbst aus dem Spiel genommen haben, üben nun SPD und CDU den Doppelpass. Es ist ein wohltuender Kontrast zur Verbohrtheit von Gelb und Grün, die sich demokratisch legitimierten Koalitionen verweigerten.

Die Unternehmerverbände in Niedersachsen haben beiden Parteien am Donnerstag drei Aufgaben ins Pflichtenheft geschrieben, hinter denen sich sicherlich auch andere gesellschaftliche Kräfte versammeln können. Es heißt da:
„ Bildung: Maßnahmenkatalog gegen Lehrermangel, um die Unterrichtsversorgung in allen Schulen langfristig zu gewährleisten. Infrastruktur: mehr Planungsingenieure und schnellere Verwaltungs- und Gerichtsverfahren für dringend benötige Infrastrukturprojekte, wie die A20 oder A39. Digitalisierung: Eine Koordinierungsstelle für Digitalisierung in der Landesverwaltung für den flächendeckenden Breitbandausbau bis in jede Ecke Niedersachsens.“

So weit die Unternehmerverbände. Tatsächlich ist ein Infrastrukturpakt das Gebot der Stunde. Das Schöne an Niedersachsen ist, dass seine kerngesunde Substanz, seine vergleichsweise intakten sozialen und ökonomischen Strukturen wie ein Sprungtuch wirken könnten. Da schlummert, sturmfest und erdverwachsen, noch viel Kraft.

Wenn Niedersachsen der Unterrichtsversorgung und der Unterrichtsqualität ungeteilte Aufmerksamkeit widmet, anstatt sich in ideologischen Systemwechselspielen zu verheddern, wird der Transfer der analogen in die digitale Ökonomie deutlich besser gelingen. Unsere Region ist schließlich das beste Beispiel, dass Wissen Wohlstand schafft. Es war gut, dass die Präsidentin der Technischen Universität am Donnerstag beim Unternehmertag des Arbeitgeberverbandes Braunschweig auftrat. Und es ist schön, dass die IHK Braunschweig einmal mehr auf das unternehmerische Potenzial der Forschung hingewiesen hat: Der Technologietransferpreis stärkt einen Motor auch der regionalen Entwicklung.

Wenn wir darüber hinaus nicht länger zusehen, wie politische Unentschlossenheit und überlange Verfahren den Verkehrsinfarkt heraufbeschwören, schaffen wir ökonomischen und ökologischen Mehrwert.

Und wenn wir das wahnwitzige Förderdurcheinander durch kluge Koordination bändigen, können wir sicherer sein, dass Niedersachsen tatsächlich bis 2025 überall ultraschnelles Internet zu bieten hat, wie es Minister Lies gerade versprach.

Die Landesregierung ist in der Pflicht, drei essenzielle Infrastrukturprojekte unserer Region über die Ziellinie zu bringen. Der Weiterbau der A39, der Ausbau der Weddeler Schleife und der Schleuse Scharnebeck sind auf einem guten Weg, aber keine Selbstläufer.

Ohne den Bund läuft wenig. Aber es hilft nichts, den Schwund von Abgeordneten aus unserer Region im Bundestag zu beklagen. Diese Region muss sich in Berlin Gehör verschaffen – und gerade unsere Wirtschaft verfügt über tragende Stimmen. Möge sie sie erheben!

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