„Der Fall Anis Amri ist ein Beispiel für ein Totalversagen des Staates.“

Der erste Jahrestag des Berliner Anschlags naht. Es wird viel von den Opfern die Rede sein. Einige Politiker und Behördenleiter werden den Angehörigen kaum in die Augen schauen können. Denn der Fall Anis Amri ist ein Beispiel für ein Totalversagen des Staates. Zweifel gab es bisher reichlich. Neue wird der Verdacht säen, dass ein V-Mann des Landeskriminalamts Islamisten zu Taten anstachelt, womöglich auch in diesem Fall – hatte der Mann doch immerhin Kontakt zum Tunesier.

Die Wahrheit wird nie herauskommen. Sie ist vielleicht auch nicht so einfach. V-Leute müssen sich im Milieu bewegen wie der Fisch im Wasser; je eifriger, desto unauffälliger. Die Grenze vom Mitwisser und -läufer zum „Agent Provocateur“, zum Lockspitzel, ist fließend. Aus der Nähe erfährt man mehr, aus ihr erwächst aber auch Kumpanei, im schlimmsten Fall: Komplizenschaft. Das ist eine Gratwanderung, bei der weder der V-Mann noch sein Führer immer trittsicher seien können.

Ein V-Mann des Verfassungsschutzes in NRW hat vor Amri gewarnt – auch das gehört zur Wahrheit, macht den ganzen Fall aber nur noch trostloser für Opfer und Angehörige. Der Verdacht, dass erst ein V-Mann den Attentäter auf die Idee brachte, mit einem LKW in die Menge zu rasen, ist unerträglich und verstörend.

Halten wir die Fakten fest: Amri war kriminell, er galt als Gefährder, es gab Möglichkeiten, ihn vor der Terrortat aus dem Verkehr zu ziehen. Vor allem hätte man ihn ausweisen müssen. Wären die Innenminister in NRW und Berlin noch im Amt, müssten sie spätestens jetzt zurücktreten, eine Frage der politischen Hygiene. Es muss alles aufgeklärt werden: Ob der V-Mann zu weit gegangen ist; ob man ihn hätte abziehen müssen; ob die Sicherheitsbehörden nicht nur Rauchmelder und Feuerwehr sind, sondern manchmal auch Brandbeschleuniger.