Krise? Welche Krise? Die SPD geht als klare Siegerin aus der Landtagswahl in Niedersachsen hervor. Im Wahlkampf hatte Stephan Weil gesagt: Dies ist eine niedersächsische Wahl mit niedersächsischen Themen. Die Wähler gaben ihm recht: In der Tat war dies „ein großer Abend für die niedersächsische SPD“. Der Bundesvorsitzende Martin Schulz musste gestern Abend keine weitere Niederlage kommentieren, aber er sollte den Ball flachhalten. Die Niedersachsen-Wahl ist keine Bestätigung des SPD-Rückzugs aus der Verantwortung. Parteien werden nicht für Erholungskuren gewählt, sondern für ihren Beitrag zur Verbesserung der Lebensverhältnisse der Bürger. Genau daraus erklärt sich der Erfolg der Niedersachsen-SPD: Dies ist der Erfolg einer Partei, die in der abgelaufenen Legislaturperiode einen ordentlichen Job gemacht hat. So groß die Unzufriedenheit vieler Bürger mit Schulpolitik und VW-Krisenmanagement war: Leistungsträger wie Wirtschaftsminister Lies, Finanzminister Schneider und Innenminister Pistorius prägten das Gesamtbild. Die Fortschritte bei Verkehrsprojekten in unserer Region sind ein gutes Beispiel. Für die Konkurrenz zur Linken blieb ein Ergebnis unter fünf Prozent.

Die SPD hatte nach den bitteren Niederlagen die Zähne zusammenbissen, hatte in größter Geschlossenheit unverdrossen um Wählerstimmen gekämpft. Überragenden Anteil an ihrem Erfolg hat der meistunterschätzte Ministerpräsident Deutschlands. Blass und bieder sei Stephan Weil, wurde außerhalb Niedersachsens kommentiert. Ein Missverständnis. Die Niedersachsen ließen sich bisher höchst selten von bunten Hunden regieren. Werte wie Verlässlichkeit, Bodenhaftung und Redlichkeit spielen zwischen Aurich und Göttingen eine bedeutende Rolle. Stephan Weil, der „biertrinkende Jurist“, ist kein Volkstribun. Aber er passt hierher.

Die deutliche Landesprägung dieser Wahl relativiert den Merkel-Effekt. Den Christdemokraten schadete die ungerührte Haltung ihrer Kanzlerin und Bundesvorsitzenden ganz sicher. Auch der zögerliche Beginn der Regierungsbildung in Berlin mag den Appetit der Niedersachsen auf Veränderung gezügelt haben. Das größte Problem der niedersächsischen CDU bleibt jedoch die eigene Schwäche. Bernd Althusmann war ein respektabler Spitzenkandidat. Aber der Afrika-Reimport hatte wenig Zeit, nachzuweisen, dass er der bessere Mann an der Spitze des Kabinetts wäre. Der harte, zur Überspitzung neigende Kurs der CDU im Landtag und im Wahlkampf vermittelte den Wählerinnen und Wählern offenkundig nicht den Eindruck, die Konservativen böten die bessere Alternative. Und namentlich zwischen Harz und Heide bietet die SPD das aktivere, modernere, überzeugendere Personal. Hier hat die CDU Hausaufgaben zu erledigen, denen die Führung in Hannover in der Vergangenheit auswich.

Bis in den späten Abend war eine Fortsetzung der bisherigen Regierungskoalition nicht ausgeschlossen. Doch diese Wahl ist kein Votum für Rot-Grün. Die fundamentalistischen Züge der niedersächsischen Grünen, namentlich der konfrontative Stil Landwirtschaftsminister Meyers, dürften für die Verluste der Öko-Partei verantwortlich sein. Die Landwirtschaft ist Niedersachsens zweitwichtigste Branche.

Die Wähler haben offensichtlich jenen Vertrauen geschenkt, denen sie ordentliches Regierungshandwerk zutrauen. Die FDP erlebte keinen Lindner-Effekt – in Hannover waren die Liberalen eher durch Polemik aufgefallen. Werden sie bei ihrer Absage an die SPD bleiben? Regierungsarbeit böte der FDP eine Chance, mehr als nur rhetorische Qualität nachzuweisen.

Die AfD zieht zum ersten Mal in den Landtag ein, bleibt aber hinter den Erwartungen zurück. Dies mag mit der Abneigung der Niedersachsen gegen politische Extreme zu tun haben, erklärt sich auch aus der Zerstrittenheit der Partei und ihres Unvermögens, sich von rechtsextremistischen Tendenzen wie in ihrer thüringischen Schwesterpartei zu distanzieren. Es bestätigt aber auch all jene, die die Bürger eines weltoffenen Bundeslandes vor denen schützten, die unsere Hilfsbereitschaft missbrauchen.

Die Regierungsbildung wird nicht leicht fallen. Klar ist nur: Den Regierungsauftrag hat Stephan Weils SPD. Wir werden sehen, was sie daraus macht.

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