„Wo Mitgliedstaaten zu zerfallen drohen, steht auch die Funktionsfähigkeit der EU als Ganzes auf dem Spiel.“

Die EU tut derzeit so, als gehe sie der Fall Katalonien nichts an. Gewissermaßen hat sie ja auch die Verträge auf ihrer Seite: Danach hat die Union die nationalen Verfassungsidentitäten klar zu achten, sich also nicht in interne Angelegenheiten einzumischen.

Fest steht: Das Unabhängigkeitsreferendum war nicht verfassungskonform, nicht einmal die Hälfte der Katalanen beteiligte sich daran. Das ist keine gute Voraussetzung für einen neuen Staat. Dennoch gibt es gute Gründe, auf die spanische Regierung einzuwirken, damit diese endlich einem neutralen Vermittler zustimmt. Ministerpräsident Rajoy setzt allein auf Härte, weil er das Recht hinter sich weiß. Aber einen Konflikt mit massiver Polizeipräsenz lösen zu wollen, ist zu kurzsichtig. Mindestens der Wunsch nach größerer Autonomie und einer Finanzverteilung, die mehr Geld in Katalonien belässt, wird bestehen bleiben.

Die EU darf den Konflikt nicht aussitzen; aus eigener Kraft schaffen es die Beteiligten in Madrid und Barcelona wohl nicht mehr, ihn beizulegen. Aber auch aus einem anderen Grund ist Zurückhaltung nicht angebracht: Flandern, Schottland, das Baskenland, Südtirol – es gibt zahlreiche Regionen in Europa, die nach Unabhängigkeit streben und in denen seit Jahrzehnten Konflikte schwelen. Wo Mitgliedstaaten zu zerfallen drohen, steht auch die Funktionsfähigkeit der EU als Ganzes auf dem Spiel. Ein Pulverfass Katalonien – das wäre eine gefährliche Entwicklung für ganz Europa.