Jeder Mensch findet im eigenen Leben Konstanten

und Glückserlebnisse, die ihn prägen und auch in seinem Verhalten und Engagement bestimmen: Für mich gehört hierzu die Tatsache, dass ich ein Nachbarland und seine Menschen kennen und lieben lernen durfte, das in der Geschichte von Deutschen allzu oft verachtet, unterjocht und verheert worden ist.

Polen – und davon spreche ich – war für Deutsche über Jahrhunderte ein Nachbar, dem man mit Dünkel und Überlegenheitsgefühlen begegnete, die sich bis heute immer noch bei vielen Deutschen auf höfliche Ablehnung oder völliges Desinteresse reduzieren. Dies alles natürlich bei ziemlicher Unkenntnis der polnischen Geschichte und der polnischen Kultur.

Nun bin ich seit mehr als fünf Jahrzehnten im Dialog zwischen Menschen aus Deutschland und Polen engagiert. Geprägt haben mich polnische und jüdische Überlebende von Auschwitz und Stutthof: Ihr Leid und ihre Erinnerungen waren nicht nur für mich, sondern für viele Deutsche die Tür, die uns von ihnen nach Polen geöffnet wurde. Es war eine Tür, die in die Geschichte und in die Gegenwart führte. Gelernt habe ich in diesen Gesprächen, dass es ohne Kenntnis und Anerkennung der Geschichte und ihrer Ursachen nie würde Verständigung und Aussöhnung geben können.

Und mit der Zeit – über erbitterte Auseinandersetzungen in Deutschland hinweg – wurde dies zu einer Erkenntnis, die immer mehr Deutsche prägte, mittlerweile über Generationen hinweg. Mit dieser Erkenntnis sind Freundschaften und Partnerschaften zwischen Menschen und Institutionen entstanden, die eine Nähe ausgebildet haben, die es so in den deutsch-polnischen Beziehungen niemals vorher gegeben hat. Deshalb schmerzt es umso mehr, wenn dies alles jetzt von Politikern in Polen als „Märchen“ diffamiert und der Lächerlichkeit preisgegeben wird. Gerade in diesem Zusammenhang ist das Schreiben einiger polnischer katholischer Bischöfe, die – jenseits aller unterschiedlichen politischen Auffassungen – zu Achtsamkeit und Sensibilität im Umgang miteinander aufrufen, nicht hoch genug einzuschätzen. Jetzt sind die evangelische und die katholische Kirche in Deutschland am Zug, die in ihrer Geschichte viel für die Beteiligung von Christen am deutsch-polnischen Dialog geleistet haben.

Sie sind dringend aufgerufen, den Appell ihrer polnischen Brüder offiziell aufzunehmen und von deutscher Seite ein deutliches Wort zur Bedeutung der deutsch-polnischen Verständigung zu formulieren. Auch dies würde vielen Menschen, die die jetzige Situation als sehr belastend empfinden, Mut machen und ein Zeichen der Hoffnung sein.