„Die Wirtschaftskrise hat gezeigt: Eine gemeinsame Währung ist nicht notwendigerweise ein Segen für alle.“

Die Forderung von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker, den Euro in allen Mitgliedstaaten einzuführen, ist naiv – zumindest vorschnell.
Zwar hat sich die Gemeinschaft vertraglich dazu verpflichtet. Doch Gründlichkeit rangiert vor Schnelligkeit. Die Eurozone ist
in den vergangenen Jahren durch schwere Turbulenzen gegangen. Die Staatsschulden- und Wirtschaftskrise in Südeuropa hat
gezeigt: Eine gemeinsame Währung ist nicht notwendigerweise ein Segen für alle. In den
Ländern, die über ihre Verhältnisse gelebt haben, führt sie zu Verwerfungen.

Auch eine Ausweitung des Schengen-Raums mit dem Verzicht auf Grenzkontrollen ist verfrüht. In der Flüchtlingskrise und im Anti-Terror-Kampf wurden so viele Defizite deutlich, dass das Motto gilt: Stabilität geht vor hastiger Erweiterung der Mitgliedsstaaten.

Im Frühjahr schien EU-Kommissionschef Juncker noch mehr strategischen Weitblick an den Tag zu legen. In einem Weißbuch stellte er fünf Szenarien über die Zukunft der EU vor. Eines davon besagte: Konzentration auf das Wesentliche. Die Gemeinschaft solle sich auf Kernbereiche beschränken wie Sicherheit, Migration, Grenzschutz, Verteidigung und Handel. Also kein blinder Erweiterungseifer, sondern zielgenaue Integration in Schlüsselfeldern.

Es ist kein Zufall, dass Juncker seine Vorschläge vor der Bundestagswahl unterbreitete. Nach dem 24. September spielt die Musik woanders: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und – so wie es derzeit aussieht – Bundeskanzlerin Angela Merkel werden um einen Kompromiss für eine vertiefte Zusammenarbeit der Europäischen Union ringen. Juncker hat wohl versucht, mit seinen Vorstößen eine Art historisches Vermächtnis zu hinterlassen. Die Wahrscheinlichkeit, dass er damit in die Geschichtsbücher eingeht, ist gering.