„Angesichts des Betruges durften die Auto-bauer nicht mit Beifall rechnen. Aber dasnegative Echo ist dennoch erstaunlich. Istes in Wirklichkeit ein Ruf nach Strafe?“

„Nenne keinen weise, ehe er nicht bewiesen hat, dass er eine Sache von wenigstens acht Seiten her beurteilen kann.“
Konfuzius

Komplexe Technik und fein ziselierte Rechtsvorschriften lassen sich nicht ohne Weiteres auf ein kurzes TV-Statement verdichten. Entsprechend hoch ist die Ausfallquote: An der Klippe unzulässiger Vereinfachung sind nach dem Diesel-Gipfel eine ganze Reihe von führenden Politikern gescheitert. Die rüde Attacke des Grünen-Vorsitzenden Cem Özdemir auf VW-Vorstandschef Matthias Müller („Der hat den Schuss nicht gehört“) zum Beispiel gehört schwerlich zu seinen Bestleistungen. Die Suche nach zündenden Wahlkampfthemen kann selbst so kurz vor dem Urnengang keine Rechtfertigung für Unsachlichkeit sein.

Das Echo war aber auch bei vielen Bürgerinnen und Bürgern verheerend. Sie waren von dem Gipfel-Ergebnis maßlos enttäuscht – die Initiatoren hatten offensichtlich unterschätzt, welche Erwartungen die Konzentration von Industriebossen und höchstrangigen Politikern wecken würde.

Festzuhalten ist, was dieser Gipfel alles nicht war und auch nicht sein konnte: Es ging hier nicht um die Generalabrechnung zwischen einer Industrie und ihren Aufsehern, auch nicht um die Zukunft der gesamten Luftreinhaltung in Deutschland. Der Gipfel war kein Schnellgericht über die strafrechtlich relevanten Verfehlungen von Motorenentwicklern der deutschen Autobauer. Und schon gar nicht konnte der Gipfel die Tatsache aus der Welt schaffen, dass Mobilität die Umwelt beeinträchtigt. Die Gipfel-Diskussion konnte nur der Frage gelten, wie angesichts drohender Fahrverbote die Stickoxid-Emissionen der Diesel sinken können.

Ist das Ergebnis eine „Verarsche“, wie ein tüchtiger Berufskraftfahrer dieser Tage über einem Glas Wasser sagte? Haben Bund und Länder die Autoindustrie zu billig davonkommen lassen? Wird es nun doch Fahrverbote für Dieselfahrzeuge geben?

Jeder hätte sich angesichts der hohen Belastung der Luft einen Befreiungsschlag gewünscht. Die Sehnsucht bringt aber keine Lösung. Die Diskussion leidet unter einer massiven Verengung: Mancher tut so, als seien die Probleme bei der Luftqualität ausschließlich auf Dieselfahrzeuge zurückzuführen. Nach den Zahlen des Umweltbundesamtes liegt der Anteil des Verkehrs auf Straße, Schiene und in der Luft an den Stickoxid-Emissionen bei insgesamt 38 Prozent. Beim Straßenverkehr, so sagt eine Faustregel, kommen aus dem Diesel-Auspuff vier Fünftel der Stickoxide. Wer gerade an einem Ruß ausstoßenden Rohr vorbeikam, der weiß, dass die unmittelbare Wirkung auf die Atemluft höher sein kann. Und dennoch verursachen Energieerzeuger, Industrie, verarbeitendes Gewerbe und Landwirtschaft zusammengenommen den Löwenanteil. Zu viel, um die Schadstoffprobleme des Landes über den Diesel lösen zu können.

Aber hätte die Politik die Hersteller nicht dennoch zu Umbauten an den Motoren zwingen müssen? Das Zauberwort „Hardware“ hat hohe Konjunktur. Bei dieser Frage führt kein Weg an der Beschäftigung mit dem technischen Detail vorbei. Die Nachbesserungen, die zum Beispiel Volkswagen in den zurückliegenden Monaten an manipulierten Motoren vorgenommen hat, waren das Resultat eines aufwendigen Verfahrens: Der Autobauer prüfte, was an den technisch sehr unterschiedlichen, zum großen Teil schon sehr betagten Aggregaten verändert werden konnte, um die Manipulation auszuschalten und die Abgaswerte dauerhaft zu verbessern. Ein lehrreicher Prozess. Bewährte Lösungen aus modernen Aggregaten waren bei alten Motoren technisch nicht möglich. Neuentwicklungen hätten bis zur Serienreife bis zu zwei Jahre gedauert. Der Aufwand hätte leicht die Größenordnung des Restwertes der Altfahrzeuge erreichen können. Und für jeden Veränderungstyp musste die Freigabe des Kraftfahrtbundesamtes eingeholt werden. Dann erst durften die Werkstätten loslegen.

Die Aussage von VW-Chef Müller, wonach Hardware-Veränderungen nicht nur teurer, sondern in ihrer Wirksamkeit durchaus zweifelhaft seien, spiegeln die Erfahrungen seines Unternehmens mit 1,9 Millionen Autos, die bereits nachgebessert wurden. Die öffentlichkeitswirksame Empörung Cem Özdemirs gründet deutlich weniger tief auf Faktenkenntnis.

Das schlechte Beispiel der ausländischen Autohersteller lehrt übrigens, dass die rechtlichen Möglichkeiten sehr begrenzt sind. Die deutschen Autobauer kamen mit konkreten Zusagen an den Tisch, die die Emissionen deutlich senken werden. Ihre ausländischen Konkurrenten hatten nur müde abgewunken. Es gebe kein Problem und überdies keine rechtliche Handhabe, wurde dem Bundesverkehrsminister mitgeteilt. Die deutschen Hersteller tun also tatsächlich nicht nur mehr als ihre Wettbewerber, sie gehen über ihre Rechtspflichten hinaus. Die Autos, die nun nachgebessert werden, waren auch schon vorher gesetzeskonform.

Angesichts des Betruges durften die Hersteller nicht mit Beifall rechnen. Aber das negative Echo ist in seiner Vehemenz erstaunlich. Ist die Kritik in Wirklichkeit ein Ruf nach Strafe? Diesen Wunsch kann eigentlich nur empfinden, wer die ganze Autoindustrie für eine Betrügerbande hält. Hunderttau- sende Arbeitnehmer in den Belegschaften der Autobauer sind aber genauso zornig über diejenigen, die Kunden betrogen und den Ruf der Unternehmen schwer beschädigt haben. Die Kunden haben das Recht auf Kompensation. Auf die Anklagebank aber gehört der Betrüger – nicht die ganze Branche.