„Die Hölle liegt auf der anderen Seite des Flusses. Der Westen der Stadt ist in einem Ausmaß zerstört, für das das Wort ,apokalyptisch‘ eine treffende Bezeichnung ist.“

Auf der „Garagen-Straße“ im Herzen Mossuls herrscht der übliche nahöstliche Wahnsinn. Autos Stoßstange an Stoßstange, Hupkonzerte, auf den Kreuzungen Verkehrspolizisten, die irgendwie versuchen, das Chaos zu bändigen. Die Verkaufsstände entlang der Straße sind prall gefüllt, es gibt wieder Bananen, Melonen, Fisch. Im Osten der nordirakischen Metropole pulsiert das Leben. Im Westen, auf der anderen Seite des Tigris, ist nur Tod und Zerstörung.

Der „Islamische Staat“ (IS), der die Stadt fast drei Jahre lang im Würgegriff hielt, ist im Osten auf den ersten Blick nur noch eine böse Erinnerung. Einzig die schwer bewaffneten Soldaten, die überall patrouillieren, lassen erahnen, dass die Gefahren noch nicht gebannt sind. Im Januar vertrieben irakische Truppen die Dschihadisten nach monatelangen Gefechten aus diesem Teil der Stadt. Hier sind von den Kämpfen nur vereinzelt Spuren zu sehen.

Sicherheit gibt es in

Westmossul nicht

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Die Hölle liegt auf der anderen Seite des Flusses. Der Westen der Stadt ist in einem Ausmaß zerstört, für das das Wort „apokalyptisch“ eine treffende Bezeichnung ist. Die Luftangriffe der US-geführten Koalition, der Artilleriebeschuss der irakischen Armee, die Selbstmord-Attentate der Dschihadisten haben ganze Stadtteile und das Industriegebiet zermalmt. Die historische Altstadt mit ihren engen Gassen und Straßen, das letzte Rückzugsgebiet der Fanatiker, das von der irakischen Armee in blutigen Häuserkämpfen erobert werden musste, ist ausradiert. Unter den Schuttbergen werden noch Hunderte Tote vermutet.

Das Ausmaß der Zerstörung im Westen Mossuls ist gewaltig. IS-Kämpfer haben bis zuletzt ihre Stellungen verteidigt.
Das Ausmaß der Zerstörung im Westen Mossuls ist gewaltig. IS-Kämpfer haben bis zuletzt ihre Stellungen verteidigt. © dpa

Von Ostmossul aus führen nur zwei provisorische Pontonbrücken über den Tigris in den Westen, die fünf alten Brücken wurden gezielt durch Luftschläge zerstört. Hinter dem „Nineveh“-Hotel kontrolliert eine Einheit der irakischen Armee einen dieser Übergänge. Ab und an rumpeln Lastwagen aus dem Westen über die Brücke, die Ladefläche vollgepackt mit Männern. „Wir holen immer noch Leute aus dem Westteil der Stadt heraus“, berichtet ihr Kommandeur Jafer Taklef, ein junger, schmaler Hauptmann, der aus Samarra nahe Bagdad stammt. Die Männer werden überprüft, sie wollen hier verhindern, dass sich Kämpfer des IS unter die Flüchtlinge mischen. Zehn bis 20 Verdächtige werden jeden Tag ausgesiebt, sagt Taklef, alles Einheimische. „Die Ausländer haben bis zum Tod gekämpft.“

Mohammed und Hanouf mit ihrem Sohn Anas. Der Kleine hat sich den Arm gebrochen. Sie suchen Hilfe im Ostteil der Stadt.
Mohammed und Hanouf mit ihrem Sohn Anas. Der Kleine hat sich den Arm gebrochen. Sie suchen Hilfe im Ostteil der Stadt. © Jan Jessen

Vor wenigen Tagen hat der irakische Premier Haider al-Abadi die Schlacht um Mossul für beendet erklärt. Immer wieder hallt aber von der anderen Flussseite Gewehrfeuer herüber. Versprengte Dschihadisten verstecken sich in den weit verzweigten Tunnelsystemen, die der IS in den vergangenen Jahren angelegt hat, und führen Überraschungsangriffe in den befreiten Stadtteilen durch. Es sind Verzweiflungstaten von Menschen, die dem Tod geweiht sind. Sicherheit gibt es in Westmossul nicht. Vor Kurzem sprengte sich hier die Frau eines IS-Kämpfers in die Luft. Sie trug ihr Kind auf ihrem Arm. Es gibt hier kaum Nahrung, kein Wasser, keinen Strom. Wer kann, der geht in den Osten, zu Verwandten oder in eines der Flüchtlingscamps.

Mohammed ist gerade mit seiner kleinen Familie an dem Checkpoint am Tigrisufer angekommen. Sein Sohn Anas hat sich den Arm gebrochen, im Westen existiert kein funktionstüchtiges Krankenhaus in erreichbarer Nähe. Der Kleine weint vor Schmerzen. Seine Mutter Hanouf versucht, ihn zu trösten. Sie ist hochschwanger. Mohammed und Hanouf erzählen von der Zeit unter dem IS, dem lebensfeindlichen Terrorregime. Hanoufs Gesicht ist unverschleiert, sie ist stark geschminkt, spricht mit einem fremden Mann. „Dafür wären wir beide früher bestraft worden“, sagt Mohammed. Noch immer, erzählen sie, gäbe es viele Menschen in Mossul, die den IS unterstützen. Das junge Paar weiß noch nicht, wie es jetzt weitergeht. „Eigentlich würden wir gerne das Land verlassen“, sagt Mohammed, „es wird hier keinen Frieden geben.“

„Der Ostteil der Stadt ist voller Schläferzellen von Daesh“, sagt Gülistan Sheikh Hassan und benutzt den arabischen Ausdruck für den IS. Die zierliche, energische Frau ist Mitglied des Rates der Provinz Nineveh. Immer wieder würden Menschen bedroht, die mit den Sicherheitskräften zusammenarbeiteten, es gebe viele Entführungen, auch Morde.

Aber auch das Verhalten der Eroberer der Stadt heizt die Konflikte an. An vielen Checkpoints flattern schiitische Fahnen, für die mehrheitlich sunnitischen Bewohner eine Provokation. Der IS konnte die Stadt 2014 auch deshalb so schnell einnehmen, weil sich die Sunniten im Irak seit dem Sturz Saddam Husseins von der schiitischen Regierung unterdrückt fühlten. Es gibt Berichte von Gräueltaten irakischer Soldaten und Polizisten, von Folterungen, Vergewaltigungen, Hinrichtungen. Im Westen der Stadt wurden gefangene IS-Kämpfer auf offener Straße enthauptet. Noch ist der IS in der Region nicht komplett besiegt. Mit Tal Afar im Norden und mit Hawdischa im Südwesten hält er noch zwei Städte und zahlreiche Dörfer in der Umgebung. Hunderttausende Menschen leben dort. Die Rückeroberung soll von den schiitischen Milizen angeführt werden. Sie könnte zu einem Gemetzel ausarten.