„Dass sich der Niedersachse Weil einmischt, sollte niemanden wundern. Er will dem Niedergang seiner Partei nicht zusehen – und muss sich einer Landtagswahl stellen.“

„Einen Vorsprung im Leben hat, wer da anpackt, wo die anderen erst einmal reden.“ (John F. Kennedy)

So schnell kann’s gehen. Gerade noch galt Martin Schulz als der Wunderheiler der deutschen Sozialdemokratie. Meinungsumfragen sprachen der SPD die Kraft eines ernstzunehmenden Unions-Konkurrenten zu, die Euphorie war gewaltig. Nur: Die Wahrheit liegt in der Wahlurne. Und da mutierte der Schulz-Hype zum „Schulz-Fluch“, wie eine Boulevardzeitung titelte.

Der Goslarer Sigmar Gabriel dürfte diese Entwicklung ohne Genugtuung verfolgen. Durch seinen Verzicht auf Parteivorsitz und Kanzlerkandidatur hat er bewiesen, dass ihm das Schicksal seiner Partei wichtiger ist als persönliche Macht. Das schließt den Verdacht der Schadenfreude aus. Vielleicht wäre die SPD mit ihm besser dran gewesen. Denn der Linksschwenk hat sich nicht ausgezahlt, zumal Martin Schulz bis zur Wahl an Rhein und Ruhr lediglich erschreckend platte Schlagworte deklamierte.

Das katastrophale Wahlergebnis in NRW hat auch mit schlechter Regierungsleistung zu tun – die selbstbewussten Rheinländer, Westfalen, Sauerländer und Lipper sind es offenkundig leid, stets mit Unterdurchschnittlichkeit konfrontiert zu werden. Das Versagen nordrhein-westfälischer Sicherheitsbehörden etwa liegt offen zutage, von der Kölner Domplatte bis zum Attentäter Amri. Die Rechtfertigungsversuche von Innenminister Jäger verstärkten den Schaden noch.

Aber die Schulz-SPD ist mitverantwortlich. Unter dem Druck miserabler Umfragewerte hat sie viel Platz in der politischen Mitte freigemacht. Die Union besetzt ihn gerne.

Niedersächsische Sozialdemokraten sind traditionell weniger der Sozialutopie als der Arbeits- und Lebenswirklichkeit der kleinen Leute und des Mittelstands verpflichtet. Vielleicht ist die sozialdemokratische Welt deshalb hier noch am ehesten in Ordnung. Man muss der Union ja nicht nach links aus dem Weg gehen: Bürger erwarten das überzeugendere Angebot in der Sache. Lösungsqualität dürfte deshalb mehr Wähler mobilisieren als jenes Strategie-Geschiebe, zu dem „Politikberater“ und allzu enge Führungszirkel neigen.

Der niedersächsische SPD-Vorsitzende und Ministerpräsident Stephan Weil hat kaum aus Zufall gerade jetzt klare Signale nach Berlin gesandt. Sein Steuerkonzept ist aus zwei Gründen bemerkenswert. Erstens ist es so konkret und detailliert wie keine der bisherigen Einlassungen des Kandidaten Schulz. Zweitens erzeugt es ein Gegenbild zur frisch erröteten Bundes-SPD.

Weil will die Bürger um insgesamt zehn Milliarden Euro entlasten. Interessant sind die Feinheiten. Frank Hechtner, Berliner Juniorprofessor für Steuerwirkungs- lehre, hat für die „Süddeutsche Zeitung“ ausgerechnet, dass das Weil’sche Konzept extrem gut Verdienende zwar belasten würde. Das beträfe aber nur diejenigen an der obersten Spitze der Einkommenspyramide. Der Verheiratete mit zwei Kindern, der Karriere gemacht hat, würde erst bei einem Gehalt jenseits von 18700 Euro höhere Steuern bezahlen.

Möglicherweise wurmt es den einen oder anderen Konservativen, dass ein Sozialdemokrat diesen Vorschlag unterbreitet hat – er dürfte auch CDU- und CSU-Anhängern gefallen. Es ist ja erstaunlich, dass sich auf dem Scheitelpunkt der Steuerflut noch immer keine politische Mehrheit für eine Entlastung der Bürger gefunden hat. Dabei sprechen Politiker fast aller Parteien seit Jahren davon, dass man zumindest die kalte Progression abschneiden müsste, also den Mitnahmeeffekt des Staates bei einer positiven Lohn- und Gehaltsentwicklung.

War Weils Coup eine Hilfe für Martin Schulz? Wohl kaum. Aber dass sich Weil einmischt, sollte niemanden wundern. Da spricht jemand, der dem weiteren Niedergang seiner Partei bei der Bundestagswahl am 24. September nicht stillschweigend zusehen will – und der sich im Januar der Landtagswahl in Niedersachsen stellen muss.

Für einen leichten Sieg hat diese Landesregierung in der Schul-, Umwelt- und Agrarpolitik zu viele Fehler gemacht. Die Schatten, die weniger lichte Gestalten am Kabinettstisch werfen, können starke Minister wie Boris Pistorius und Peter-Jürgen Schneider und der populäre Regierungschef nicht aufhellen. Und CDU-Spitzenkandidat Bernd Althusmann findet allmählich seine Themen.

Der Schatten des Untreue-Verdachts hatte in der vergangenen Woche ehemalige und amtierende Personalverantwortliche des Volkswagen-Konzerns getroffen. Interessant ist ein Missverständnis weiter Kreise. Dort gilt Betriebsratschef Bernd Osterloh als verdächtig – dabei gehört er gar nicht zu den Beschuldigten. Kein Ruhmesblatt für deutsche Medienschaffende, die das durch allzu flotte Überschriften provozierten. Dass Osterloh über unsere Zeitung seine Einkommensverhältnisse offenlegte, hat ihm Respekt eingetragen – und Spekulationen aus der Welt geschafft. Mancher hätte sein Gehalt deutlich höher geschätzt.

Der Gewerkschafter gehört zu denen, die man sowohl bei der Braunschweiger Eintracht als auch beim VfL Wolfsburg treffen kann. Beiden Mannschaften seien für dieses Wochenende 22 goldene Füße gewünscht, damit der VfL diese schwierige Saison oberhalb des Relegationsplatzes abschließt. Und damit sich Eintrachts Löwen das Bielefeld-Trauma aus dem Fell schütteln. Der Aufstieg ist mindestens über die Relegation noch immer zu schaffen – er wäre die Krönung einer großartigen sportlichen Leistung.