„Der Soldat und insbesondere der Offizier wird nur dann innerhalb und außerhalb der Bundeswehr die notwendige Autorität erlangen, wenn er auch dann zur Wahrheit steht, wenn sie etwas kostet.“

Ursula von der Leyen mag sich gefühlt haben wie George Armstrong Custer bei der Schlacht am Little Bighorn – so groß waren Zahl und Vielfalt der anstürmenden Gegner. Vom Bundeswehrverband bis zur Opposition ließ kaum einer ein gutes Haar an der Ministerin, das Schlachtgetümmel nahm vorübergehend bedrohliche Züge an. Dabei hatte sie nur ausgesprochen, was offen zutage liegt: Führungsversagen und Vertuschung schwerer Verfehlungen bei der Bundeswehr haben ein Ausmaß angenommen, das grundsätzliche Fragen aufwirft.

Nun ist die Tochter des niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht buchstäblich nicht von schlechten Eltern. Die nahenden Pfeile fing sie mit einer Kommunikationsoffensive. Sie ging in die Kaserne des Offiziers, der eine Doppelexistenz als Flüchtling führte, traf sich mit hundert Generälen. Und sie revidierte pauschale Formulierungen, die viele Soldatinnen und Soldaten befremdet haben müssen. Manchmal kann sich der Sinn eines Politikers für öffentliche Auftritte auch gegen ihn wenden – von der Leyens Vorvorgänger Karl-Theodor zu Guttenberg ist ein einprägsames Beispiel.

Die Ministerin hat in diesem Fall vielleicht zu wenig an das Seelenleben der Truppe gedacht. Dass sie den Skandalen auf den Grund geht, dass sie die Dinge beim Namen nennt, ist aber das einzig Richtige.

In der Kommandostruktur der Bundeswehr scheinen auch Charaktere zu sitzen, die die Anforderungen an moderne Streitkräfte nicht verstehen. Erniedrigende Initiationsrituale, sexuelle Übergriffe, Gewalt und Mobbing dürfen keinen noch so kleinen Platz finden, denn sie sind eines demokratischen Staates unwürdig. Mit der Verpflichtung bei der Bundeswehr unterwirft sich der „Bürger in Uniform“ den Regeln einer streng hierarchischen Organisation. Das geht nur auf der Basis des Grundvertrauens – der Staat hat die Pflicht, es zu rechtfertigen.

Wenn schwere Verfehlungen vor dem Ministerium verheimlicht werden, müssen die militärische und die politische Führung hart durchgreifen. Und wenn ein Offizier völkischen Stumpfsinn fabriziert, darf es nicht mit einer Überarbeitung der Masterarbeit getan sein. Die Behörden glauben, dass dieser Mann, Franco A., sich eine Doppelidentität als Asylbewerber zugelegt hatte, um Anschläge zu begehen, die er Flüchtlingen in die Schuhe schieben wollte.

Der Verdacht steht im Raum, in der Bundeswehr könne es ein rechtsextremes Netzwerk geben – Generalinspekteur Volker Wieker wollte es diese Woche nicht ausschließen. Der Schaden für die Bundeswehr ist groß. Offensichtlich fehlt es ausgerechnet beim Militär stellenweise an konsequenter Führung.

Und es stellt sich heraus, dass manche Abgrenzung zu falschen Traditionen entweder nicht klar genug gezogen war oder morsch geworden ist. Wenn im Aufenthaltsraum der Truppe, bei der Franco A. diente, Wehrmachtsdevotionalien an der Wand hingen, haben viele weggesehen – und nachgedacht hat keiner.

Um es deutlich zu sagen: Die Vorstellung, dass die Streitkräfte der demokratischen Bundesrepublik Deutschland eine Traditionsverbindung zur Wehrmacht haben könnten, ist atemberaubend. Die Wehrmacht war in weiten Teilen das willfährige Werkzeug einer rassistischen, imperialistischen Diktatur – der Bruch kann gar nicht breit und tief genug sein.

Manche hätten sich diese Woche vielleicht weniger Sorgen um die politische Feinmotorik der Ministerin machen sollen. Die entscheidende Frage ist, wie weiterer Schaden von der Bundeswehr abgewendet werden kann. Dass das im Wesentlichen unterblieb, wirft kein gutes Licht auf die Kritiker.

Politische Gegner fanden, Frau von der Leyen versuche, ihre persönliche Verantwortung für die Probleme zu verschleiern. Sie sei ja schon seit 2013 im Amt. Eine armselige Opposition, die so hanebüchen argumentiert. Ein Blick auf den Kalender: Von der Leyen macht den Job genau seit dem 17. Dezember 2013, sie ist der dritte Dienstherr, den Generalinspekteur Wieker erlebt, nach Guttenberg und Thomas de Maizière. In ihrer kurzen Amtszeit hat sie einiges erreicht. Die zum Teil miserabel ausgerüstete und untergebrachte, von Auslandseinsätzen ausgezehrte Truppe hat heute mehr Geld zur Verfügung, und zum ersten Mal entsteht so etwas wie ein Personalentwicklungskonzept. Ministerin von der Leyen vorzuwerfen, dass sie die Haltungsfragen nicht auch noch schnell geklärt hat, ist so billig wie die Pfennigwurst im Supermarkt – und für die Bundeswehr genauso gesund.

Eine der größten Herausforderungen der Bundeswehr ist die Personalsuche. In einer Zeit niedriger Arbeitslosenzahlen muss sich das Militär gegen Wettbewerber aus Staat und Privatwirtschaft durchsetzen. Desolate Quartiere und inkompetente Vorgesetzte sind ein definitives Erfolgshindernis. Und wenn Gestalten wie Franco A. den Eindruck vermitteln, beim Bund könne man alte Burschenherrlichkeit und rassischen Überlegenheitswahn ausleben, werden vernünftige junge Leute einen weiten Bogen um die Kasernen machen.

Die Frau an der Spitze mag Fehler machen, aber ihre Bilanz hat einen positiven Saldo. Wer möchte, dass es mit der Bundeswehr voran geht, sollte das zur Kenntnis nehmen und gute Ansätze unterstützen.