„Der Sonntag wird den ersten Fingerzeig geben, ob Macrons Weg vom Außenseiter zum Favoriten ihn nun ins Präsidentenamt führt.“

„Es gibt keinen Frieden für die Furchtsamen und Uneinigen.“ (Charles de Gaulle, französischer Präsident und General)

Ein Anschlag erschüttert Frankreich. Der Zeitpunkt ist bewusst gewählt: Drei Tage vor den Wahlen schoss ein Attentäter in Paris auf Polizisten, mindestens einer von ihnen starb. Und auch der Tatort ist nicht Zufall: Der Mann, der selbst erschossen worden ist, schlug auf den Champs-Élysées zu, einer der berühmtesten Straßen der Welt. Nicht erst seit den Anschlägen von 2015 ist Paris eine der Städte, in denen die Polizei am sichtbarsten schwer bewaffnet patrouilliert. Absolute Sicherheit gibt es dennoch nicht: Das wissen alle, auch wenn gerade Politiker mit ultrarechten Ansichten dies anders darstellen. Die Stadt der Liebe lockt Millionen von Touristen an, lädt zum Feiern und Ausgehen ein. Sie ist aber auch – gerade weil sie offen ist – ein Ziel für Gewalttäter, für Terroristen, die mit ihren Taten im Mittelpunkt stehen wollen.

Was sind nun die Folgen? Werden die Franzosen morgen für die Kandidaten stimmen, die das Thema Innere Sicherheit betonen. Schon bisher war es schwer, Prognosen abzugeben. François Fillon etwa, der Kandidat der Republikaner, trat an mit dem Versprechen auf eine geistig-moralische Wende. Er kündigte Wirtschaftsreformen an, setzte auf Familie, den Wert der Arbeit und befand sich auf einem Höhenflug – bis ihn diverse Skandale und Skandälchen einholten. Dass er seine Frau als Mitarbeiterin angestellt hatte, gab er erst gar nicht zu, dann relativierte er es. Mittlerweile geht es darum, ob sie für den Lohn aus Steuerkassen gearbeitet hat. Dass er sich zwei Anzüge für 13 000 Euro schenken ließ, fand Fillon ebenfalls erst ganz normal, dann entschuldigte er sich dafür und gab die Kleidungsstücke zurück. Bis vor kurzem lag Fillon aussichtslos zurück. Er holte aber auf – sagte nun seinen letzten Wahlkampfauftritt ab und forderte mehr Geld für Sicherheit und Terrorbekämpfung. Als früherer Premier und Konservativer könnte Fillon von der neuen Sicherheitsdebatte profitieren, zumal er schon vorher den Kampf gegen den IS ausgerufen hatte und damit möglicherweise selbst ins Ziel zweier Attentäter geraten war.

Auch Marine Le Pen steht für einen starken Staat. Sie führte in den vergangenen Monaten teils sogar die Umfragen zur Präsidentenwahl an. Dabei hatte sie einerseits versucht, den von ihrem Vater gegründeten Front National aus der rechtsextremen Ecke zu führen und sich von Antisemiten getrennt. Andererseits sind von ihr immer noch ausländerfeindliche Töne zu hören. Zudem will sie Frankreich aus der EU führen und strebt Bündnisse außerhalb der Nato an. Die Mehrheit der Franzosen lehnte bisher einen solchen Kurs – und es war schwer vorstellbar, dass sie sich in einer Stichwahl durchsetzen könnte. Ob der Anschlag ihre Chancen erhöht hat? Das wird sich morgen zeigen.

Ebenso unwahrscheinlich erschien bis vor kurzem, dass ein anderer Anti-EU-Kämpfer es in die Stichwahl schafft: Doch auch Jean-Luc Mélenchon legte zu. Der Anti-Kapitalist ist das Pendant zu Le Pen auf der linken Seite und überholte damit den Sozialisten Benoît Hamon, Parteifreund des bisherigen Präsidenten François Hollande. Mit markigen Sprüchen, der Forderung nach der Rente mit 60, höherem Mindestlohn und mehr Ausgaben versprach Mélenchon viel – mit ungewisser Aussicht auf Erfolg.

Der Anschlag lässt nun alle Umfragen nichtig erscheinen. Die Nachricht platzte gestern in die TV-Sendung, in der sich alle aussichtsreichen Kandidaten zeigten. Der bisherige Favorit Emmanuel Macron, 39, dynamisch und im Gegensatz zu Le Pen oder Mélenchon für eine stärkere EU kämpfend, ging auf das Opfer ein. Er forderte, seine Landsleute, sich nicht auseinandertreiben zu lassen – und will doch auch mehr Polizisten einstellen. Der Sonntag wird den ersten Fingerzeig geben, ob Macrons Weg vom Außenseiter zum Favoriten ihn nun als Präsidenten in den Élysée-Palast führen wird.

Noch ist nicht alles bekannt über die Tat in Paris, auch wenn Noch-Präsident François Hollande von einem terroristischen Hintergrund sprach.

Bei einem anderen Anschlag gehen die Ermittler seit gestern davon aus, den Täter gefasst zu haben und die Hintergründe zu kennen. Seit mehr als einer Woche gab es immer wieder Neues zum Angriff auf den Mannschaftsbus von Borussia Dortmund. Der IS, antifaschistische Gruppen, Hooligans – immer wieder kursierten Gerüchte, wer die Sprengsätze gelegt haben soll. Gestern gab es eine Festnahme – und vieles spricht dafür, dass der Täter aus banalen Gründen handelte: Er wollte Menschen töten, um daraus Profit zu schlagen. Mit einem 40 000-Euro-Kredit hatte er auf fallende Aktien gewettet – die Tat und möglichst viele Opfer sollten für diese Entwicklung sorgen. Doch dabei hinterließ der 28-Jährige Spuren. Er wohnte im Mannschaftshotel, er bestand auf einem Zimmer zur Straßenseite, zündete womöglich von dort die Sprengsätze. Nur der Zufall sorgte dafür, dass es nicht zum Mord aus Gier kam und beim Versuch blieb.

Die Folgen des Anschlags sind auch hier noch offen: Dass der Anschlag die BVB-Fußballer in den vergangenen Spielen hemmte, ist mehr als verständlich. Dass der Täter gefasst ist, hilft ihnen hoffentlich dabei, das Geschehene zu verarbeiten. Und wenn dies nicht schnell klappt, wenn der Erfolg ausbleibt? Dann sollten sich Verantwortliche und Fans eines bewusstmachen: Fußball ist noch immer die schönste Nebensache der Welt, aber eben nicht mehr.