„Facebooks wiederkehrende Beteuerungen, Inhalte besser kontrollieren zu wollen, sind bloß ein Feigenblatt.“

Ein Mann in den USA erschießt einen anderen, auf offener Straße. Vorher kündigt er die Tat an, spricht davon, jemanden töten zu wollen. Den Ablauf der Tat kennen wir genau, weil der Täter alles gefilmt und bei Facebook veröffentlicht hat. Dort war das Video mindestens zwei Stunden zu sehen, bevor es gesperrt wurde.

Nun kündigt das soziale Netzwerk an, seinen Umgang mit Gewaltvideos zu überprüfen – mal wieder. Denn regelmäßig gibt es Streit um Facebooks Umgang mit problematischen Inhalten. Interessant dabei: Die Kontrolle wird oft, wie im aktuellen Fall, als zu lasch empfunden. Allerdings durchaus auch manchmal als zu streng, etwa wenn es um Nacktheit geht: So stufte die automatische Bilderkennung zeitweise auch unbekleidete antike Statuen als unpassenden Inhalt ein – der Spott darüber kam prompt.

Das soziale Netzwerk steckt in einem Dilemma: Es ist darauf angewiesen, dass Nutzer ihre Inhalte gerne dort veröffentlichen. Die schiere Masse und der Wunsch nach sofortiger Verfügbarkeit machen eine Vorabkontrolle durch Menschen unmöglich. Automatisierte Kontrollmechanismen werden zwar stetig weiterentwickelt, stoßen aber dennoch schnell an Grenzen – die nackten Statuen lassen grüßen. Und auch in Zukunft wird wohl keine Kontrollsoftware unterscheiden können zwischen einem Video, das echte Gewalt zeigt, und etwa einer Szene aus einem Actionfilm.

Facebooks wiederkehrende Beteuerungen, besser kontrollieren zu wollen, sind daher bloß ein Feigenblatt. Die empörte Öffentlichkeit hört, was sie hören will. Ehrlicher und langfristig sinnvoller wäre es, die Unmöglichkeit lückenloser Kontrollen zuzugeben, will man nicht soziale Netzwerke in ihrer heutigen Form ganz abschaffen. Wollen wir sie nutzen, sollten wir sie als das sehen, was sie schon dem Namen nach sind: ein Spiegel der Gesellschaft – Abgründe inklusive.