„Manchen Bürger beschleicht das Gefühl, die eigenen Interessen stehen einer ehrlichen Diskussion mit der Türkei im Weg.“

Thomas Wilde ist weder ein Spinner noch ein rechtsradikaler Türken-Hasser. Dass er den Weg über die Medien sucht, macht ihn auch nicht gleich zum eitlen Selbstdarsteller. Der Tischlermeister aus dem Kreis Wolfenbüttel ist mit seiner Anzeige gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan ein hohes persönliches Risiko eingegangen. Ganz bewusst verzichtete er darauf, seine Geschichte anonym zu erzählen. Seine persönliche Betroffenheit wollte er auch damit zum Ausdruck bringen.

Was offensichtlich ist: Vor dem Verfassungsreferendum ist die Stimmung auch unter den in Deutschland lebenden Türken gereizt. Die als „Ja-Sager bezeichneten Unterstützer des Präsidenten und diejenigen, die dessen Kurs nicht folgen wollen, stehen sich unversöhnlich gegenüber und beschuldigen sich gegenseitig des Verrats am Vaterland. Eine schwierige Gemengelage, in der das Öffentlichmachen einer Anzeige gegen den Staatschef auch als Beleidigung betrachtet werden könnte. Zumindest könnte es als Einmischung in fremde Angelegenheiten angesehen werden.

Dass man sich im Wissen um die eigene Geschichte und die Bedeutung des Grundgesetzes für die Demokratie einmischen sollte, wenn es um staatliche Repression und den Abbau rechtsstaatlicher Prinzipien geht, ist Wildes eigentliche Botschaft. Eine Einstellung, die auch deutsche Politiker im Umgang mit der Türkei verinnerlichen sollten. So beschleicht den ein oder anderen Bürger schon das Gefühl, die eigenen Interessen mit Blick auf das Flüchtlingsabkommen stünden einer ehrlichen Debatte über Entdemokratisierungstendenzen in der Türkei im Weg.

Übrigens: Die Errungenschaften des Grundgesetzes zeigen sich auch darin, dass es denen die gleichen Rechte einräumt, die es ständig infrage stellen. Wer nichts von der Unabhängigkeit der Justiz hält, darf dennoch klagen. Sogar Erdogan nutzte das Recht, wie der Fall Böhmermann zeigt.