„Wir werden uns das nicht aussuchen können? Ist das überhaupt die Frage? Wir sollten den digitalen Weg aus besserer Einsicht wählen!“

„Ich habe Gott sei Dank Leute, die für mich das Internet bedienen und ich hab sehr talentierte Kinder auf dem Gebiet.“ (Michael Glos (CSU), Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, 2007)

Wir werden es uns nicht aussuchen können! Dieser Satz scheint zu den Grundmelodien der Digitalisierungsdebatte zu gehören. Man hörte ihn diese Woche bei der IHK-Veranstaltung zum autonomen Fahren und beim Leserforum zum digitalen Staat, man hört ihn bei Gewerkschaften und in der Wissenschaft.

Autos, die ohne menschliche Hand am Steuer verkehren, Fabriken, die von Rechner zu Rechner ihre Produktion harmonisieren, vollautomatische Maschinenparks, die, via Internet mit Bauplänen gefüttert, Fertigprodukte auswerfen: Viele von uns glauben, das sei Science-Fiction – aber all das gibt es schon.

Nicht schön, aber autonom: ein selbstfahrendes Auto von Google in Kalifornien.
Nicht schön, aber autonom: ein selbstfahrendes Auto von Google in Kalifornien. © dpa

Deutsche Unternehmen machen gar keine schlechte Figur, wenn es um die intelligente Nutzung solcher Technologien geht, sagen Dirk Bode, Chef des Braunschweiger Beraters und Softwareentwicklers FME und der Clausthaler Informatiker Prof. Andreas Rausch. Führend in der Entwicklung sind sie in vielen Fällen aber nicht.

Die Nutzung digitaler Möglichkeiten in der öffentlichen Verwaltung fällt stark ab – Deutschland belegt im europäischen Vergleich Platz 20. Wie der estnische Botschafter Mart Laanemäe unseren Lesern erklärte, können sich seine Landsleute den Gang zur Meldebehörde sparen, weil dank eines fälschungssicheren digitalen Fingerabdrucks und moderner Technik der Verwaltungsakt übers Internet läuft. Wer zum Arzt geht, stellt ihm seine digitale Krankenakte zur Verfügung – was unter anderem doppelte Röntgenaufnahmen erspart, weil jeder behandelnde Arzt auf die Daten des Patienten zugreifen kann. Es sind nur zwei Beispiele für die Vorteile, die der offene Umgang mit digitalen Mitteln schafft. Das kleine Estland, das bis 1991 eine Sowjetrepublik war, hat uns bei der Qualität der drahtlosen Datenverbindungen übrigens längst abgehängt.

Wir werden uns das nicht aussuchen können? Ist das überhaupt die Frage? Wir sollten den digitalen Weg aus besserer Einsicht wählen! Was würde geschehen, wenn unsere Industrie nicht mehr die intelligentesten und besten Produkte anbieten könnte, weil sie in der Prä-Internet-Zeit hängengeblieben ist? Unternehmer Bode sagt: „Dann können meine Kinder Eintrittskarten für das Technikmuseum Deutschland verkaufen.“ Dass die Digitalisierung, dass intelligente, selbstlernende Technik traditionelle Arbeitsplätze vernichten wird, sei klar. Die Frage laute, wie viele neue wir schaffen.

Angesichts der Qualität unserer Unternehmen dürften wir wohl einigermaßen optimistisch nach vorn blicken –wäre da nicht ein großes Aber. Deutschland ist kompliziert und manchmal macht es Europa noch komplizierter. Unternehmensgründung ist in den USA so einfach wie Telefonieren, bei uns dagegen ein komplizierter Rechtsakt, der zwar die Sicherheit erhöht, das Tempo aber bis zum Stillstand senken kann. Sicherheit ist uns so wichtig, dass wir in der Gefahr, ihren Preis zu vergessen. Die Freiheit bleibt allzu leicht auf der Strecke: „Am sichersten ist es im Gefängnis“, hat ein kluger Mann gesagt.

Das autonome Fahren in vollautomatischen Fahrzeugen ist so ein Fall. Da erforschen und entwickeln Braunschweiger Wissenschaftler die Technologien, die man dazu braucht, erarbeiten sich dabei weiten Wissensvorsprung. Und während deutsche Juristen und Politiker über Haftungsfragen debattieren, lassen in den USA Tesla und Google ihre automatisierten Autos Millionen von Kilometern auf öffentlichen Straßen fahren, mit wesentlich weniger aufwendiger Technik und beeindruckenden Ergebnissen. Fahrzeuge in Menschenhand, so sagen Experten, hätten bei selber Kilometerleistung mehr Unfälle gebaut als die US-Automaten. Mit solchen Ergebnissen baut ein Hersteller das Vertrauen potenzieller Kunden auf, und wenn Volkswagen hundertmal der bessere Autobauer ist.

Nach der hoch spannenden Diskussion bei der IHK setzte sich denn auch eine Warnung im Gedächtnis fest: Wir dürfen uns nicht in Haftungsfragen verheddern, während uns ausländische Wettbewerber links und rechts überholen. Dem Befund, dass die deutsche Wirtschaft hervorragend auf technische Lösungen, aber so gar nicht auf Betriebssysteme und Austauschplattformen versteht, ist kaum zu widersprechen.

Der Wolfsburger Pädagoge Michael Bittermann wies beim Leserforum auf einen Faktor hin, der gar nicht hoch genug geschätzt werden kann: die Wissensgrundlage, die an unseren Schulen gelegt wird. Die digitale Welt bietet ein Universum von Möglichkeiten, in das auch Kinder und Jugendliche deutlich früher und deutlich tiefer eingeführt werden sollten. Jeder Minister, jeder Schulleiter und jeder Pädagoge, der Geld, Kraft und Begeisterung in dieses Thema steckt, verbessert die Zukunftschancen der ihm anvertrauten Kinder.