„Während Erdogan in der Türkei die Presse- und Meinungsfreiheit abschafft, politische Gegner drangsaliert und kriminalisiert, nutzt er die Freiheit in unserem Land.“

„Gib ihm fünf Geldstücke, damit er redet und zehn Geldstücke, damit er schweigt.“
Türkisches Sprichwort

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Es ist ein befremdliches Szenario. Der Regierungschef eines fremden Landes kommt nach Deutschland, um hier Wahlkampf zu machen, bei Menschen, die in Deutschland leben und Steuern bezahlen.

Ministerpräsident Binali Yildirim wird wohl nur die Vorhut gewesen sein. Präsident Recep Tayyip Erdogan könnte schon bald ebenfalls anreisen und für den Staatsstreich von oben werben, die Einführung der Todesstrafe fordern, auf seine politischen Gegner einteufeln, wie er es immer tut.

Was hat türkische Innenpolitik auf deutschem Boden zu suchen, fragen sich viele. Die Antwort: Im Prinzip gar nichts. Aber eineinhalb Millionen wahlberechtigte türkische Staatsbürger in Deutschland ziehen türkische Politiker an, auch solche der Opposition. Ziemlich genau die Hälfte der in Deutschland lebenden türkischstämmigen Mitbürger hat nur oder auch den türkischen Pass. Deutschland offenbart da eine Eigenschaft, die nicht jeder gerne sieht: Dieses Land ist in gewissem Sinne auch eine türkische Exklave.

Der Wahlkampf auf deutschem Boden ist befremdlich, rechtlich geht er aber in Ordnung. Die Versammlungsfreiheit gilt für alle. Es wäre außerdem durchaus nicht zu erklären, warum das Grundrecht auf freie und ungehinderte Information für unsere türkischen Mitbürger nicht gelten sollte.

Die politische Diskussion um ein „Verbot“ des noch nicht bestätigten Auftrittes Erdogans gewinnt ihre Wucht aus einer Perversion: Während Erdogan in der Türkei die Presse- und Meinungsfreiheit abschafft, politische Gegner drangsaliert und kriminalisiert, würde er die Freiheit in unserem Land für seinen Wahlkampf nutzen. Ein deutscher Politiker mit vergleichbarem Programm würde vom Bundesverfassungsgericht gestoppt werden.

Erdogan wird nach Deutschland kommen, sofern er glaubt, die Stimmen der Türken in Deutschland zu brauchen. Bei ihnen erreicht seine Partei bessere Ergebnisse als im Mutterland. Nur diplomatischer Druck durch ausgeprägte Missfallensbekundungen der Bundesregierung könnte den Auftritt verhindern. Aber Berlin wird in dieser Frage kaum Ehrgeiz entwickeln. Die Not der Großen Koalition in der Flüchtlingsfrage ist so groß, dass man viele Kröten schlucken wird. Ein weiterer Zusammenstoß mit Ankara gilt als gefährlich: Die Türkei löst ja das gravierendste Problem dieser Bundesregierung. Dies ist ein Wahljahr, und sowohl der Höhenflug der SPD als auch die Stabilisierung der CDU wäre bei einer Wiederkehr chaotischer Zustände in überfüllten Flüchtlingsheimen so flüchtig wie der Hase im Angesicht eines Wolfsrudels.

Dabei ist die Zeit für klare Worte reif. Türkische Stellen haben nachweislich versucht, über türkisch-muslimische Gemeinden Spionage in Deutschland zu treiben. Leider hatten sie bei einigen wenigen Erfolg. Anhänger der Gülen-Bewegung berichten von Nachstellungen, deren Anstifter offenkundig im türkischen Regierungslager sitzen. Und aus Nordrhein-Westfalen erklingt diese Woche der Vorwurf, dass türkeikritische Äußerungen, die im Schulunterricht fielen, gemeldet werden sollten.

Das ist, bei aller Liebe zum Bündnispartner und Nothelfer Türkei, eindeutig des Schlechten zu viel. Wahlberechtigte Bürger an ihrem ausländischen Wohnsitz aufzusuchen, mag noch angehen. Spionage und Drangsalierung Andersdenkender darf Deutschland nicht zulassen, die Bundesregierung nicht, die Parlamente nicht, die politischen Parteien und die Justiz nicht.

Àpropos Regeln: Unterdessen bemüht sich Volkswagen, den Schaden zu heilen, den eigenes Missmanagement angerichtet hat. Die mehr als 12 Millionen Euro, die Ethik(!)-Vorstand Hohmann-Dennhardt nach einem Jahr im VW-Dienst erhält, waren dann doch das kleine bisschen Wahnsinn zu viel. Nun wird es eine Einkommensgrenze für die Spitzenkräfte geben. Eigentlich ein Grund zur Zuversicht, denn der Autobauer schließt damit endlich eine weitere Dauerbaustelle.

Auf dem Weg zu dieser sinnvollen Veränderung ist aber erneut sichtbar geworden, woran es bei Volkswagen am meisten fehlt: Es ist der Grundkonsens, der starke Wille zum Miteinander. Einzelinteressen werden ohne Rücksicht auf Verluste vertreten. Da blockierten einzelne Vorstandsmitglieder lange Zeit den Gehaltsverzicht, und andere warfen unablässig Fakten-Fragmente, Halbwahrheiten und sogar Denunziationen bei deutschen Journalisten ab.

Bei keinem anderen Unternehmen wird so hemmungslos durchgestochen wie bei Volkswagen. Seit eineinhalb Jahren geht das jetzt so. Die Manöver mögen den Zielen ihrer Urheber gedient haben, dem Unternehmen schadeten sie ausnahmslos. Von den Mitarbeitern über die Kunden bis zum Börsenhändler – alle haben die Nase voll von diesem Bild egoistischer Dekadenz. Und die Bemühungen um wirkliche, glaubwürdige Transparenz wurden durch das Störfeuer bis zur Unkenntlichkeit demoliert.

Die Plaudertaschen und Intriganten, die seit Jahr und Tag den Narrhalla-Marsch spielen, sollten sich eines anderen Karnevalsklassikers erinnern: Jupp Schmitz und Hans Jonen verdanken wir das schöne Lied „Am Aschermittwoch ist alles vorbei.“ Am Aschermittwoch beginnt nach christlicher Tradition eine Zeit der Buße – viele haben Grund, Asche auf der Stirn zu tragen.