„Es ist kennzeichnend für den Stand der Wolfsburger Dinge: Wer etwas weiß, igelt sich ein. Und die anderen posaunen herum, als gälte es, die Mauern von Jericho zu erschüttern.“

„Gott muss ein Seemann sein, keiner geht verloren, er lässt die Mannschaft nie allein.“ (Santiano)

Worum geht es in diesem Land? „Gemeinschaft stiften“, sagt Ministerpräsident Weil. Das klingt ein bisschen naiv. Wenn man dieses Ziel aber vor dem Hintergrund einer Stiftung formuliert, die sich mit psychisch kranken Kindern und Jugendlichen, mit allein zu uns kommenden Flüchtlingen beschäftigt, bekommt das Wortpaar Kraft.

Beim Jahresempfang der Mansfeld-Löbbecke-Stiftung in Braunschweig hielt Weil diese Woche eine seiner besten Reden. Ihre Qualität bezog sie nicht so sehr aus rhetorischer Kunstfertigkeit, sondern daraus, dass da ein Politiker über ein Thema sprach, das ihm wichtig ist. Menschen, die „anders“ sind, nicht auszugrenzen, gleichgültig, ob sie mit Handicap leben, aus einem anderen Kulturkreis kommen oder ob sie einfach nicht das Glück hatten, in sozial stabilen Verhältnissen aufzuwachsen, das ist eine Forderung, die man nicht aus Gründen der Günstigkeit erhebt.

Was wir zum Beispiel sehr unzureichend mit dem blutleeren Begriff Inklusion beschreiben, ist anspruchsvoll für alle Beteiligten, für die Träger von Bildungseinrichtungen, für das Personal, für die Mitschüler, für die Familien. Wer es wie Weil dennoch für ein bedeutendes Ziel hält, tut das aus einer Grundhaltung, die Menschen nicht nach Leistungsfähigkeit (aus)sortiert, nicht den einfachsten Weg sucht, sondern nach Menschlichkeit fragt.

Weils Rede war anrührend, weil sie aus der Zeit fällt: Jenseits des Atlantiks reduziert ein amerikanischer Präsident die Sorge um das ihm anvertraute Gemeinwesen auf eine Aneinanderreihung von „Deals“.

Der Ministerpräsident hatte diese Woche auch weniger anheimelnde Auftritte. Den vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestages zum Abgasskandal vor allem. Da blieb er manchen Aufschluss schuldig. Die Abgeordneten hörten mit Staunen, dass das Aufsichtsratsmitglied „beim Betrachten der ,Tagesschau‘“ vom Skandal erfuhr und auch dann nicht sofort Auskunft verlangte. Erneut wies er die Behauptung des VW-Miteigentümers Ferdinand K. Piëch zurück, er sei früher informiert gewesen. Weil gehört zu den wenigen, die Piëchs Ausführungen nachgelesen haben. Als Aufsichtsratsmitglied hat er Zugang zu den Dokumenten der Kanzlei Jones Day, die Piëch befragte.

Jones Day hielt, wie wir hören, die Ausführungen nicht für plausibel. Ganz im Gegensatz zur Staatsanwaltschaft Braunschweig, die nun weitere Verfahren eingeleitet hat. Was genau Piëch diesen Ermittlern gesagt hat, bleibt im Dunklen – die Behörde hüllt sich zur Beweislage in Schweigen. Der Verweis auf laufende Ermittlungen in allen Ehren – der Staatsanwaltschaft muss klar sein, dass sie durch ihr Verhalten den Durchstechern die Bühne überlässt. Und mit welcher Herzenslust wird da gespielt!

Es ist kennzeichnend für den Stand der Wolfsburger Dinge: Wer etwas weiß, igelt sich ein. Und die anderen posaunen herum, als gälte es, die Mauern von Jericho zu erschüttern.

Volkswagen steckt in einer tiefen Krise. Sie ist ganz anders als 1974, als keiner mehr den Käfer wollte oder 1992, als VW wegen schwacher Konjunktur und Managementfehlern zum Milliardengrab zu werden drohte. Sie ist aber mindestens so bedrohlich. Längst geht es nicht mehr nur darum, Strafen und Entschädigungen abzuzahlen. Das Vertrauen der Kunden ist in großer Gefahr. Es schwindet mit jedem Monat, in dem der weltgrößte Autobauer den Eindruck vermittelt, er gebe nur das bekannt, was schon alle wissen, und verschweige den Rest.

Volkswagen funktioniert als Ingenieurs-Organisation nach wie vor glänzend. Die Aufgaben werden mit deutscher Gründlichkeit bearbeitet – von der Diesel-Nachrüstung bis zur Elektro-Offensive. Aber im Management offenbart sich Begrenztheit, die zu Stillstand und Verwirrung führt.

Das Unternehmen hat sich die Sanierung der Marke VW vorgenommen, Markenchef Herbert Diess definierte die Handlungsfelder klar und bearbeitet sie mit analytischer Kühle. Aber er ignoriert dabei die Bedeutung der Arbeitnehmervertreter und die emotionale Situation der erfolgsverwöhnten Mitarbeiter. Das holt ihn immer wieder ein. Erst zwang ihn der Betriebsrat zum Abschluss eines detaillierten „Zukunftspaktes“ – Betriebsratschef Bernd Osterloh und seine Mitstreiter hatten die Nase voll vom Blindflug. Und nun riskierte Diess die Totalblockade, indem er diesen Pakt sehr frei interpretierte.

Kann es eine Frage der Haltung sein? Ferdinand K. Piëch wird gerne mit der Aussage zitiert, dauerhaft könne man kein Unternehmen gegen die Mitarbeiter führen. Allemal steckt Diess in einem Kommunikationsdilemma. In einem Brief schrieb er den Mitarbeitern: „Die Übernahme von Leiharbeitern in größerem Maße würde nochmals den Abbau-Druck auf die Stammbelegschaft erhöhen.“ Dabei war von einer Übernahme gar keine Rede, vielmehr wurde im Zukunftspakt ein Abbau von Leiharbeiterjobs vereinbart. Wer dennoch so schreibt, setzt sich dem Verdacht aus, er wolle den einen Teil der Belegschaft gegen den anderen ausspielen. Vielleicht ist Weils Mahnung zum „Gemeinschaft stiften“ gar nicht so weit von VW entfernt.

Kommunikation ist aber auch nicht alles. Der Brief, den der Vorstandsvorsitzende Matthias Müller an die Mitarbeiter schrieb, traf den richtigen Ton. Lob an die Mannschaft, Beschwörung der Gemeinsamkeit, Verpflichtung auf Kollegialität – das saß. Aber: Müller wäre als Vorstandsvorsitzender ohne Weiteres in der Lage, die Streitparteien an der Spitze des Unternehmens zum Konsens zu führen. Kritiker fragen deshalb, warum er es nicht wirksamer tut. So kann ein Brief zur Selbstanzeige werden, sagt ein erfahrener VW-Mitarbeiter.

Die Zukunft von Volkswagen entscheidet sich fernab von Untersuchungsausschüssen und Gerichtssälen – im Miteinander oder im Gegeneinander.