„Auffanglager würden die Spannungen in Tunesien sicher nur erhöhen.“

Natürlich war der Gast auf dem Breitscheidplatz. Die Geste von Youssef Chahed war wichtig. Leicht wird sie ihm nicht gefallen sein. Man kann sich vorstellen, wie unangenehm es dem tunesischen Regierungschef gewesen sein muss, dass mit Anis Amri ein Landsmann den Anschlag in Berlin verübt hat. Tunesien trägt dafür nicht die Verantwortung. Amri war schon fünf Jahre in Europa. Womöglich hat er sich erst hier radikalisiert.

Tunesien hat selbst ein Problem mit dem Salafismus. Erschreckend viele Dschihadisten kommen aus dem Land. Das ist insofern erklärbar, als Tunesien in der muslimischen Welt als relativ liberale Gesellschaft gilt. So wie die EU daran interessiert ist, die Demokratisierung zu stützen, gibt es auch eine Gegenbewegung. Unter dem Deckmantel der Terrorabwehr sind laut Amnesty International Folter und Polizeiwillkür an der Tagesordnung. Das ist der Teil der Wahrheit, den Kanzlerin Angela Merkel ausblendet, wenn sie Tunesien als „Hoffnungsprojekt“ bezeichnet. Für nächste Woche hat sich Merkel in Algerien angesagt. So wie die Türkei die EU im Osten vor Flüchtlingen abschirmen soll, so sollen die nordafrikanischen Staaten die Südflanke Europas schützen. Das Interesse: Flüchtlingsabwehr und die Rückführung von Asylbewerbern. So viele Skrupel Merkel im Spätsommer 2015 hatte, die Grenzen zu schließen, so wenige zeigt sie im Bemühen um Abschottung.

Es kommen nicht viele Flüchtlinge aus Tunesien. Das Problem ist Libyen. Solange dort Chaos herrscht, wird der Flüchtlingsstrom aus Afrika anhalten. Wie im Fall der Türkei kann man von einem „Deal“ reden. Tunesien bekommt Unterstützung und erhofft sich mehr Investitionen. Was kann man Tunesien zumuten? Sicher nicht Auffanglager für Flüchtlinge. Das würde die Spannungen im Land nur erhöhen. Aber Tunesien hat eine Verantwortung dafür, abgelehnte Asylbewerber wieder aufzunehmen. Das ist zumutbar.