„Der Konzern wirkt überfordert, chaotisch, hilflos, unprofessionell, maßlos und selbstzerstörerisch.“

Die Signale, die Volkswagen derzeit an die Außenwelt sendet, könnten kaum verheerender sein. Der Weltkonzern wirkt überfordert, chaotisch, hilflos, unprofessionell, maßlos und selbstzerstörerisch. Für weit Außenstehende mag das ein Bild des Jammers mit großem Unterhaltungswert sein, die Menschen in unserer Region müssen sich dagegen große Sorgen machen. VW, so der Eindruck, zerlegt sich selbst.

Allerdings trägt weniger das Management, sondern der Aufsichtsrat die Verantwortung für die aktuelle Fehlentwicklung – mit falschen Entscheidungen und einer Politik des Abwartens. Das Fatale: Viele Menschen differenzieren nicht zwischen Vorstand und Aufsichtsrat, zwischen VW-Konzern und der Marke VW. Sie setzen sowohl den Abgas-Betrug als auch die aktuelle Entwicklung gleich mit der Marke VW. Deren ohnehin schon angeschlagenes Image wird dadurch weiter beschädigt.

Zunächst aber ein kurzer Blick zurück: Der Jahreswechsel hätte für einen Neuanfang stehen können. Kurz vor Jahresschluss wurde von Management und Betriebsrat der „Zukunftspakt“ verabschiedet. Er ist der Fahrplan für den zwingend notwendigen Umbau der Konzern-Kernmarke Volkswagen. Kurz nach dem Jahreswechsel folgte der Vergleich mit den US-Behörden. Der kostet zwar Milliarden, hilft aber, die Situation in einem für den Autobauer so wichtigen Wachstumsmarkt zu befrieden.

Nun, zum Jahresstart, hätte das Motto also eigentlich heißen müssen: Ärmel hochkrempeln, es gibt viel zu tun. Doch statt Aufbruchstimmung herrscht das blanke Chaos.

Dazu gehört das vorzeitige Ausscheiden der Ethik-Chefin Christine Hohmann-Dennhardt. Sie sollte die oberste Wertewächterin beim Autobauer sein, hat ihn aber nach nur 13 Monaten verlassen. Die Trennung an sich ist kein Unglück. Es kann passieren, dass beide Seiten nicht zueinanderpassen. Allerdings nährt ihr Ausscheiden die Befürchtung, dass es VW mit dem selbst verordneten Kulturwandel doch nicht so ernst meint.

Außerdem ist es für die wenigsten nachvollziehbar, dass eine ohnehin gut bezahlte Managerin nach nur einem guten Jahr Tätigkeit eine Abfindung von mindestens 12 Millionen Euro bekommt. Und das in Zeiten, in denen VW Tausende von Arbeitsplätzen abbauen will. Zum Vergleich: Das Jahres-Durchschnittseinkommen der Deutschen lag 2015 bei 32.643 Euro. Von den 12 Millionen Euro ließ sich dieses Durchschnittseinkommen fast 368 Jahre Jahr für Jahr zahlen. Anders ausgedrückt: Die 12 Millionen Euro würden ausreichen, um neun Berufstätigen jeweils 40 Jahre lang das Durchschnittseinkommen zu zahlen – also ein ganzes Berufsleben lang. Dieser Vergleich zeigt: Die Abfindung ist nicht nur maßlos, sie ist ein Schlag ins Gesicht all jener, die nun ihren Arbeitsplatz bei VW verlieren.

Damit kein Missverständnis entsteht: Vertrag muss Vertrag bleiben, samt Abfindung. Allerdings kommt es auf die Ausgestaltung des Vertrags an. Dafür ist der Aufsichtsrat verantwortlich, er beruft die Vorstandsmitglieder. Im Aufsichtsrat sitzen nicht nur Vertreter der Eigentümerfamilien und Manager, sondern auch Arbeitnehmervertreter, unter ihnen Betriebsratschef Bernd Osterloh, und Politiker, unter ihnen Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD). Der betont schon mal, dass sich das VW-Management an der Zahl der Arbeitsplätze messen lassen muss. Was ist aber mit der Verantwortung des Aufsichtsrats?

Ohnehin spielt Weil, der sonst erfahrene und eloquente Politiker, eine blasse Rolle im Kontrollgremium. Damit ist nicht gemeint, dass er sich in das operative Geschäft des Autobauers einmischen sollte. Das wäre fatal – denn viele Köche verderben den Brei. Wie alle niedersächsischen Ministerpräsidenten betont er, dass das Land zu VW steht. Was auch sonst? Ohne den Autobauer würden auch in weiten Teilen Hannovers die Lichter ausgehen. Es fehlt eine eigene Handschrift Weils, die Druck zum Beispiel bei der Aufklärung des Abgas-Betrugs erkennen lässt. Stattdessen reiht er sich meist ein in die Aussagen des Kontrollgremiums.

Dabei müsste Weil eigenständiger auftreten und seine Rolle des Aufsehers machtvoller spielen. Schließlich befindet sich ein Fünftel des Autobauers über die Landesbeteiligung in öffentlichem Besitz. Diese Situation ermöglicht VW nicht nur eine langfristige Strategie, die eben nicht von kurzatmigen Fonds vorgeben wird. Sie ermöglicht zudem ein überdurchschnittliches Einkommensniveau, weil VW nicht nach rein unternehmerischen Kriterien geführt wird. Das darf nie vergessen werden. Das Land muss daher im Aufsichtsrat eine herausgehobene Stellung haben, und diese muss erkennbar sein.

Schwach und hilflos wirkt der gesamte Aufsichtsrat im Umgang mit den Vorwürfen des früheren VW-Chefaufsehers Ferdinand Piëch. Der behauptet, dass das Kontrollgremium bereits im Frühjahr 2015 von ihm über die Abgas-Manipulationen informiert worden sei. Die Mitglieder des Aufsichtsrats lassen keinen Zweifel daran, dass sich Piëch so geäußert hat. Sie betonen aber zugleich, dass diese Aussage falsch sei.

Juristische Konsequenzen folgen daraus bisher jedoch nicht. Das ist merkwürdig. Denn mit seinem Statement belastet sich Piëch selbst, eine Anzeige wegen Pflichtverletzung müsste also die logische Konsequenz sein. Stattdessen verliert sich der Aufsichtsrat im Abwarten und im Prüfen.

Bei VW ist nicht Sand im Getriebe – es ist Geröll.