„Wer aber der AfD vorwirft, sie schlage Kapital aus der Angst der Menschen, ohne ihnen Lösungen anzubieten, der sollte tunlichst nicht dasselbe tun.“

„Habe stets Respekt vor Dir selbst, Respekt vor anderen und übernehme Verantwortung für Deine Taten.“ (Tenzin Gyatso, 14. Dalai Lama)

Ist der Advent nicht herrlich? Die Weihnachtsmärkte bringen Lichterglanz, Lebkuchenduft und allerlei schmückenden Tand in die Städte; an den Adventssonntagen schaffen auch viele Dörfer den eigenen weihnachtlichen Treffpunkt, und sei es nur für einen Tag. Dort ist dann weniger Geschäfts- und viel mehr Bürgersinn im Spiel. Jetzt fehlt eigentlich nur noch der Schnee. Aber – was war noch gleich der Anlass für das ganze Glöckchenklingen und Liedersingen?

Man könnte beim Glühwein ja auch mal über den Menschen sprechen, der in Bethlehem geboren wurde und mit seiner Lehre den Lauf der Welt veränderte, über den Gottessohn und Menschenfreund, Aufrührer und Weltverbesserer.

Angeblich kannten die Evangelisten Jesus Christus gar nicht persönlich. Forscher bezweifeln selbst bei der Bergpredigt, ob der Nazarener das alles so gesagt habe. Der christliche Glaube an Gott, Unbefleckte Empfängnis, Auferstehung und das ewige Leben wird heute von der Mehrheit nicht geteilt. Und doch lohnt die Begegnung, zumal die Weihnachtszeit ja auch Atheisten und vielen Angehörigen nichtchristlicher Bekenntnisse etwas bedeutet.

Die christliche Lehre ist, wenn man sie ernst nimmt, ein Wegweiser zum guten Miteinander der Menschen. Sie ist in den vergangenen 2000 Jahren grässlich verformt worden. Wir erinnern uns – wie diese Woche beim Neujahrsempfang der jüdischen Gemeinde in Braunschweig geschehen – an das Verhalten der Christenmenschen, die dem millionenfachen Nazi-Mord zusahen oder zu den Tätern zählten. Heute ist unsere Gesellschaft eine andere. Die Reden einer Ministerin Heinen-Kljajic und eines Oberbürgermeisters Markurth in der Synagoge waren klare Bekenntnisse, die Präsenz von Persönlichkeiten wie dem früheren Ministerpräsidenten Glogowski auch.

Gut und wichtig war auch, dass VW-Personalvorstand Karlheinz Blessing gestern nach Auschwitz reiste und sich vor den Opfern verneigte. Es gibt bei den Überlebenden tiefe Irritationen angesichts des Fremdenhasses in einem Teil der deutschen Gesellschaft. Das unglückliche Verhalten des VW-Konzerns im Konflikt mit seinem Geschichtsaufklärer Manfred Grieger hatte die Dinge zusätzlich kompliziert. Es wäre ein Fehler gewesen, diese Irritation auf die leichte Schulter zu nehmen.

Auch wenn Nazi-Schläger und andere Hetzer extreme Randerscheinungen unserer Gesellschaft sind, denen wir Medien im Zweifelsfall eher zu viel Aufmerksamkeit schenken: Es ist wichtig, Zeichen des Verantwortungsbewusstseins, der Solidarität und der Toleranz zu setzen. Glaubwürdig ist das nur, wenn, wie beim VW-Betriebsrat, klare Haltung dahinter steht. Alibihandlungen schaden eher.

Das sehen wir zum Beispiel beim Umweltbundesamt. Die staatliche Öko-Wacht hat sich unserer weihnachtlichen Versandvorbereitungen angenommen. Die Frohbotschaft kulminiert in dem schönen Satz: „Versandverpackungen, die besonders besorgniserregende Chemikalien enthalten, sollten Sie in jedem Fall vermeiden.“ Diejenigen von uns, die kein Prüflabor in der Speisekammer betreiben, könnten sich fragen: Woran merke ich das denn? Oder: Ist es nicht Aufgabe des Staates, „besonders besorgniserregende Chemikalien“ aus dem Verkehr zu ziehen? Etwa den „blauen Feuchtigkeitsindikator Cobalt(II)-chlorid“, der „krebserzeugend ist“? Das Amt meint es gut, aber es nährt nur den Verdacht staatlichen Versagens.

Bürger beurteilen Staat und Politik nicht nach Ankündigungen und Sonntagsreden, sondern nach den Ergebnissen. Unbequem zu sein, ist dabei auf lange Sicht meist der erfolgreichere Weg. Heute glaubt niemand mehr, dass die laxe, an Kumpanei grenzende Haltung des zuständigen Ministeriums und des Kraftfahrtbundesamtes der Autoindustrie genutzt habe. Man darf die Verantwortung für den Dieselbetrug nicht nach Berlin abschieben – aber schärfere Kontrolle hätten möglicherweise früher den Rechtsbruch offenbart, der nun zu den Milliardenschäden führt.

Mach es richtig oder lass es, möchte man auch dem Bundesjustizminister zurufen. Heiko Maas, der geschickteste Sympathie-Erreger seit Karl-Theodor zu Guttenberg, will die Strafen bei Einbruchsdiebstahl verschärfen. Klingt gut. Das Problem ist aber, dass kaum ein Einbrecher verurteilt wird. 97 von 100 gehen straffrei aus. Es ist also völlig wurscht, welche Drohung der Staat ausstößt. Es ist nichts dahinter.

Viele Bürger haben Angst vor Einbrechern, besonders die Älteren. Wer ihnen diese Angst nehmen will, muss massiv in die Polizei investieren. Das kostet sehr viel Geld und geht, weil unser Staat föderal organisiert ist, nur in einer gemeinsamen Anstrengung von Bund und Ländern. Es wäre aber machbar. Dennoch bleibt es bei einer pompösen, wirkungslosen und sehr leicht zu durchschauenden Geste. Ist es ein Wunder, dass Bürger da misstrauisch werden?

Im „postfaktischen Zeitalter“ gibt sich mancher keine Mühe mehr, den Dingen auf den Grund zu gehen – ach, wie war es doch vordem mit Vorurteilen so bequem. Wer aber der AfD vorwirft, sie schlage Kapital aus der Angst der Menschen, ohne ihnen Lösungen anzubieten, der sollte tunlichst nicht dasselbe tun.

Es ist ein bisschen wie mit dem Advent: Nur mit Glühwein und Glöckchen wird man der Sache nicht gerecht.