„Er hat das Tor aufgestoßen zur Glaubenstoleranz, ohne selbst tolerant gewesen zu sein.“

Was und wie man glaubt, ist heute Gewissenssache. Martin Luther hat dafür den Grundstein gelegt. Selber die Bibel lesen, selber denken, dann selbst allein mit Gott sein Verhältnis zur Ewigkeit klären, so sieht für Luther Glaube aus. So hat er es einst selbst bei der sein Leben und die Welt verändernden Lektüre des Römerbriefs erfahren. Gerecht vor Gott wird man nur durch den Glauben an die Liebe Gottes, die bedingungslos schon besteht.

Das war Befreiung und Zumutung zugleich: Wo kein Heiliger mehr vermittelt, kein Priestersegen mehr weiterhilft, steht man wirklich ganz allein mit seinem Glauben da. Das muss man auch erstmal aushalten, da braucht’s manchmal die innere feste Burg, die dann auch der Idealismus eines Schiller wieder feiert. Und die nicht weit liegt von Sartres Existentialismus, wo sich der Mensch trotz aller Zufälligkeit seines Seins für eine ideelle Sinngebung entscheidet. Die Kraft für die Ideale wie für den selbstgewählten Lebenssinn mag dabei noch von Luthers Erfahrung zehren, dass das Ungenügen und Scheitern sich getragen weiß von einem großen Verzeihen und Angenommensein.

Wege, die Luther nicht ahnen konnte. Er hat zwar das Tor aufgestoßen zur Glaubenstoleranz, indem jeder selbst vor Gott sich zu bestimmen hat, aber er konnte in seiner Zeit keinen anderen Grund als Christus sehen. Wer durch angeblich gottgefällige Werke und Gebotstreue sich ein Anrecht aufs Paradies zu erkaufen gedachte, egal ob Katholik, Jude oder Moslem, wurde als anmaßend und selbstgerecht verunglimpft. Luthers Worte waren drastischer.

Heute wirft man Luther häufig vor, nicht schon so tolerant wie Lessing gewesen zu sein. Als müsste Leibniz als Erfinder der digitalen Formel schon Computer gebaut haben. Eins baut aufs andere auf, deshalb sollte man Luther getrost feiern. Auch mit einem dauerhaften Feiertag. Zugleich wird man heute so frei sein, seine Gewissensfreiheit im Glauben auch anderen zuzugestehen, so lange sie ihre Gesetze nicht anderen aufzwingen wollen.