Wie ein Popstar wurde Mariano Rajoy von seinen Anhängern gefeiert. Minutenlang ließ die jubelnde Menge den konservativen spanischen Regierungschef nach einer langen Wahlnacht nicht zu Wort kommen. „Dies ist die schwerste Ansprache, die ich je gehalten habe“, räumte der Sieger der Neuwahl ein. Seine Parteifreunde skandierten derweil: „Se nota, se siente, Mariano presidente“ (Man merkt es, man fühlt es, Mariano wird Ministerpräsident).

Bei Schließung der Wahllokale hatte sich fast niemand vor der Zentrale von Rajoys Volkspartei (PP) eingefunden; denn in Umfragen war den Konservativen eine Schlappe prophezeit worden. Als die ersten Ergebnisse der Stimmauszählung bekannt wurden, strömten Tausende PP-Anhänger zur Parteizentrale. Die Spanier hatten in unruhigen Zeiten, die weite Teile Europas in Atem halten, lieber für die Stabilität gestimmt.

Nicht allein die Brexit-Entscheidung der Briten drei Tage vor der Spanien-Wahl dürfte Rajoy in die Hände gespielt haben. Auch die labile Wirtschaftslage dürfte beim Wahlerfolg der Konservativen eine Rolle gespielt haben.

Spanien weist zwar eine Wachstumsrate von über drei Prozent auf und hat sein marodes Bankensystem saniert. Die viertgrößte Wirtschaftsmacht der Eurozone gilt jedoch als krisenanfällig: Der Staat ist hoch verschuldet, die Arbeitslosenquote mit 21 Prozent eine der höchsten in der EU. Da fielen Rajoys Warnungen, dass ein Erfolg des Linksbündnisses um Podemos (Wir können) Spanien ins Chaos stürzen würde, bei vielen Wählen auf fruchtbaren Boden.

Spanien ist in Europa ein Sonderfall. Die Flüchtlingskrise spielt sich in weiter Entfernung von der Iberischen Halbinsel ab und hatte auf die Wahl keinen Einfluss. Rechtspopulistische und ausländerfeindliche Parteien sind in Spanien – ebenso wie im benachbarten Portugal – unbedeutend. Die Zugehörigkeit zur EU wird von praktisch niemandem infrage gestellt. Auch die Separatisten in Katalonien, die die Region von Spanien abspalten möchten, wollen in der EU bleiben.

Spaniens Wähler straften die Parteien nicht dafür ab, dass die Politiker in sechs Monaten keine Regierungsbildung zustande gebracht hatten. Die Neuwahl war erforderlich geworden, weil die Parteiführer sich nach der Wahl vom 20. Dezember 2015 auf keine Koalition hatten einigen können. „Das Szenario einer Unregierbarkeit ist noch nicht verschwunden, aber es sieht so aus, als zeichne sich nun ein Ausweg aus der Sackgasse ab“, lautete die Bilanz der Zeitung „El Mundo“.

Rajoy ist nach den Stimmengewinnen der Konservativen der einzige Anwärter auf das Amt des Regierungschefs. Der Spitzenkandidat der Sozialisten (PSOE), Pedro Sánchez, hat keine Chance, im Parlament eine Mehrheit zu erzielen. Allerdings wird die PSOE bei der Regierungsbildung eine Schlüsselrolle spielen. Sie ist praktisch die einzige Partei, die Rajoy zur notwendigen Mehrheit verhelfen kann. „Rajoy gewinnt, Sánchez entscheidet“, titelte die Zeitung „El Periódico“.

Die Sozialisten, die sich in der Wählergunst seit 2011 im freien Fall befinden, erzielten ihr schlechtestes Ergebnis in der jüngeren Geschichte. Sánchez kam jedoch mit einem blauen Auge davon. Die PSOE behauptete ihre Position als stärkste Kraft der Linken. dpa