„Vor Gott sind alle Menschen gleich, vor dem Stau alle Autos.“

Hellmuth Karasek

Chefredakteur Armin Maus
Chefredakteur Armin Maus

Jeder kann sehen, wie riesig Volkswagen geworden ist. Am besten geht’s auf der Frankfurter IAA, einer der bedeutendsten Automessen der Welt. Dort erkennt man auch, gegen wen VW seine Spitzenstellung verteidigen muss. Die anderen deutschen Hersteller sind mit innovativer Technik am Start, die französischen Hersteller scheinen sich aus dem Tal der Tränen herausgearbeitet zu haben, aus Asien kommt eine breite Phalanx von Angeboten sehr unterschiedlicher Qualität und Zielgruppe – darunter sehr preisgünstige Fahrzeuge, mit denen sich VW noch schwer tut.

Wer sportliche Leistung bringen will, braucht Körperspannung. Die kann man Volkswagen allemal nachsagen. Der traditionelle Konzernabend, eine Veranstaltung für Medien und Konzernvertreter vor den Messe-Tagen, atmete das Bewusstsein eigener Stärke – und Unsicherheit. Letzteres findet man nicht in den Redetexten. Da war viel von Kraft und Zuversicht die Rede, beim neuen VW-Markenchef Herbert Diess (der seine IAA-Premiere mit Bravour über die Bühne brachte) mit abenteuerlustigem Funkeln in den Augen, bei Konzernchef Martin Winterkorn mit gewachsener Nachdenklichkeit und überraschender Selbstironie. Das Spaltmaß sei nicht alles, sagte ausgerechnet der Mann, dem man gerade an dieser Stelle maximalen Perfektionismus nachsagt.

Volkswagen tat an diesem Abend alles, um die Kritik an mangelnder Innovation zu widerlegen. Es war des Guten beinahe zu viel. Das digital vernetzte, elektrisch angetriebene Auto soll eine Domäne des Wolfsburger Konzerns werden, so wie es heute Wertigkeit, Nutzqualität oder Verbrennungsmotorentechnik sind. Da waren in Frankfurt spannende Entwicklungen zu sehen. Porsche hatte mit dem Konzeptwagen „Mission E“ eines der schönsten Autos im Programm. Manche nennen ihn den Tesla-Jäger. Und auch ein Prachtstück wie Audis SUV-Studie „Etron quattro“ zeigt, wie viel Kraft der Konzern in dieses Feld wirft. Beide Elektroautos sollen mit neuer Technik 500 Kilometer weit fahren und so schnell wieder aufgeladen werden, wie man braucht, um eine gepflegte Tasse Cappuccino zu trinken. Doch jeder weiß, wie weit viele Ideen und ihre technischen Konzepte noch von der Serienreife entfernt sind. So konnte man den Konzernabend nach Gusto als Widerrede zu Ferdinand K. Piëchs Kritik verstehen – oder als besten Beweis ihrer Berechtigung.

Der Konzern hat sich jedenfalls auf die Reise gemacht. Er begreift nun auch den erwarteten Markteintritt der Internetkonzerne als Herausforderung und (wenn man nach der Softwarequalität in den aktuellen Produkten geht – notwendigen) Ansporn. Es ist eine Errungenschaft der jüngsten Zeit, deren Bedeutung für Volkswagen und die Arbeitsplätze noch dramatisch zunehmen wird.

Im Hier und Jetzt ist VW opulent aufgestellt. Man sah und fühlte in der überfüllten Fraport-Arena die Komplexität dieses Unternehmens. Wenn Schlag auf Schlag ein PS-närrisches Männerspielzeug wie der Bugatti Gran Turismo, der nicht schöne, aber luxuriöse SUV-Bolide Bentayga aus dem Hause Bentley, die von Porsche gemachten Sportwagenträume, der schöne neue Audi A4, der erfrischende VW Tiguan und der immer zuverlässige, entsetzlich biedere VW-Transporter auf die Bühne kommen, schwirrt selbst dem Abgebrühtesten der Kopf.

Man fühlte sich an Hollywood-Epen im Breitwandformat à la „Der längste Tag“ oder „Das war der Wilde Westen“ erinnert – die Stars traten in dichter Folge auf, jeder hatte seinen eigenen Film im Film. Das Powerplay ist beeindruckend. Aber wenn aus solchen Zutaten ein Gesamtwerk werden soll, das dem Publikum Spaß und die Kasse zum Klingen bringt, ist kraftvolle Regie vonnöten. Nicht nur an diesem Abend.

Volkswagen kann sich glücklich schätzen, Audi und Porsche in der Markenfamilie zu haben. Die beiden verdienen nicht nur am besten. Sie vor allem strahlen die Premium-Aura ab, die dem ganzen Konzern gut tut. Das Selbstbewusstsein, mit dem Porsche-Chef Matthias Müller und sein Audi-Kollege Rupert Stadler auftraten, fiel auf – und war berechtigt. Wenn ein Hersteller wie Seat (der mit einem ausgesprochen hübschen Sportflitzer hervorstach) eine Chance gegen die Konkurrenz haben soll, ist die liebe Verwandtschaft via Image und Baukästen eine große Hilfe.

Die aktuellen Entwicklungen sind nicht angetan, die Körperspannung bei Volkswagen zu verringern. Heftige Turbulenzen in China und Amerika wirbeln die Ertragsprognosen durcheinander. Die gestern gemeldeten Konzernzahlen erklären, warum Konzernchef Winterkorn die für Mittwoch geplanten Interviewtermine absagte. Unter ihnen war auch das Interview mit unserer Zeitung – es wird nachgeholt. So gern wir Ihnen Winterkorns O-Ton schon jetzt geboten hätten: Auf den ersatzweise angebotenen Austausch schriftlicher Fragen und Antworten haben wir uns, anders als andere Redaktionen, nicht eingelassen. Wir wollen Ihnen authentische Information liefern.