Alle Leserbriefe beziehen sich auf „Das TV-Publikum kann nicht über das Grundgesetz abstimmen“ vom 18. Oktober und die ARD-Sendung „Terror – Ihr Urteil“ am 17. Oktober:

Zieht man das Moralmodell von Lawrence Kohlberg (1927 – 1987, US-amerikanischer Psychologe und Pädagoge), an dem sich die westlichen Verfassungen orientieren, zum Beurteilen der Schuld des Majors heran, dann hat sich dieser bei seiner Entscheidungsfindung auf der fünften Stufe bewegt, die die Wahl des kleineren Übels für gerecht hält und das utilitaristische Prinzip (Nützlichkeitsprinzip) vertritt. Argumentiert man jedoch nach der höchsten moralischen Entwicklungs- stufe sechs, wird das utilitaristische Prinzip zugunsten eines individuellen Rechts auf Leben aufgehoben. Hier ist das Recht auf Leben jedes Einzelnen zu respektieren. Der Major hätte demnach das Leben der Flugzeuginsassen nicht aufs Spiel setzen dürfen. Diese sechste Entwicklungsstufe der moralischen Orientierung sollen nach Studien nur wenige Menschen erreichen. So oder so hätte der Major Schuld auf sich geladen, da in jedem Fall Menschenleben gefährdet worden wären.

Allerdings kommt in dem Theaterstück noch eine weitere Moralstufe in den Blick, nämlich die Stufe vier. Hier gilt es, Geltung von Recht und Ordnung zu respektieren. Der erste Satz unseres Grundgesetzes besagt, dass die Würde des Menschen (jedes einzelnen Menschen) unantastbar ist. Der Major hat sich demnach nach Kohlbergschem Modell doppelt schuldig gemacht, gegen Stufe vier und Stufe sechs verstoßen.

Ingeborg Wender, Braunschweig

Rechtsprechung ist allein Sache der Richter

Das öffentlich-rechtliche Erste erklärt sein Publikum zu Schöffen, lässt es die Zahl von Toten gegeneinander aufrechnen und bereitet so die Bühne für den Mob. Moralisch ist das höchst verwerflich und untergräbt den ethischen Anspruch, den die öffentlich-rechtlichen Sender an sich selbst stellen sollten. Hier wurde unser Grundgesetz veralbert.

An Einfältigkeit ist dieser Akt des sozialen Ungehorsams eines mutigen Soldaten kaum zu überbieten. Eine derartige Situation kann niemals überschaubar sein, ist immer chaotisch und angespannt. Weil die Ungewissheit über das, was wirklich im Flugzeug passiert, einfach zu groß ist, wie Gerhart Baum richtig sagt. Der Pilot kann auch überhaupt nicht freigesprochen werden, denn die Entscheidung für ein geringeres Übel ist eine Entscheidung für ein Übel.

Was die ARD veranstaltet, ist bedenklich weit entfernt von der Verfassungsgrundlage, auf die sich die Bundesrepublik beruft.

In einer repräsentativen Demokratie werden politische Entscheidungen nicht von einer emotionalen Masse getroffen, wie es die AfD gerne hätte, sondern von gewählten Volksvertretern, die mit Sachlichkeit und Fachwissen an die Problematik herangehen.

Urteile fällen die Richter; sie sollten in der Lage sein, ohne den Einfluss besorgter Bürger komplexe Sachverhalte auf Grundlage der geltenden Gesetze zu entscheiden.

Marc Röthig, Königslutter

Schöffen sind im Gericht die Stimme des Volkes

Im Namen des Volkes wird der Major Koch freigesprochen. Die Zuschauer waren Schöffen in diesem Fernsehgericht und haben so entschieden. Unsere Gerichte ziehen Schöffen hinzu, weil diese, neben all den Juristen, die Stimme des juristisch ungeschulten Volkes vertreten. Somit fließen bei einer Urteilsfindung Gesetzestext und die Meinung der lebenden Gesellschaft ein. Beide Seiten halte ich für richtig und wichtig!

Der Fernsehrichter betonte, das Urteil sei ausschließlich nach Schöffenentscheid (also der Fernsehzuschauer) gefallen. Das passiert natürlich nicht in der Wirklichkeit, zeigt aber deutlich, wie heute ein Schöffe als Vertreter des Volkes entscheiden würde. In der Realität würde das Urteil unter Berücksichtigung der juristischen Seite und der des Schöffen differenzierter ausfallen. Und das ist gut so! Nur mit einer fundierten Gesetzgebung und dem Hören auf unsere Gesellschaft kann ein Urteil der Formel „Im Namen des Volkes“ sehr nahe kommen und dem Angeklagten gerecht werden.

Berthold Mollenhauer, Wolfsburg

Grundgesetz der Realität anpassen

Immer wieder wird heute diskutiert, dass die Politik den Willen der Bürger bei ihren Entscheidungen nicht entsprechend berücksichtigt. Jetzt wurde in einem fiktiven Fernsehspiel der Bürger als Entscheider einbezogen, der ein klares Votum abgab, und schon werden Stimmen laut, dass unsere Verfassung in Gefahr sei (Gerhart Baum)!

Der islamistische Terror ist ein Krieg gegen unsere westliche Welt und hat das Ziel, Tausende von Menschen zu töten. Hier muss ein neues Denken zur Bekämpfung dieser Gefahr erfolgen, denn bei der Beschlussfassung unseres Grundgesetzes konnte diese Art der Kriegsführung nicht mit einbezogen werden. Diese Abwägung führte auch zu der Abschussentscheidung des Majors, der den größtmöglichen Schaden vom Volk abwenden wollte!

Jochen Eckolt, Braunschweig

Mehrheit ist gegen das Urteil des BVerfG

Ich stimme Herrn Baum nicht zu. Er vergisst, dass das TV-Publikum die Menschen sind, die in diesem Land leben. Natürlich müssen wir uns mit dem Grundgesetz auseinandersetzen.

Ob es eine gute Idee war, dies im Fernsehen zu bringen und einen Sympathieträger als Beschuldigten auszuwählen, sei allerdings dahingestellt. Das Grundgesetz aber betrifft uns alle und, wie die Abstimmung gezeigt hat, ist die Mehrheit mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) nicht einverstanden.

Waltraud Zelm, Braunschweig

Moralisch ist der Major immer schuldig

Nicht schuldig im Sinne der Anklage (Mord). Aber schwierige Entscheidung, spätestens ab dem Moment, als die Staatsanwältin fragte, warum das Stadion nicht geräumt wurde.

Die Bischöfin in „Hart aber Fair“ hat recht, hier gibt es nur falsch und falscher. Moralisch wäre der Major schuldig – egal, ob er geschossen hätte oder nicht! Es bleibt uns wirklich nur zu wünschen , das wir niemals in eine solche Situation kommen.

Jussy Santanastasio via Facebook

Theoretiker stehen nie vor dieser Situation

Die Ausführungen von Herrn Baum lassen mich ratlos zurück. Diese Verfassungstheoretiker werden niemals eine solche Entscheidung treffen müssen. Im Bewusstsein dieser Sicherheit kann man wunderbare rhetorische „Schneckentänze“ zelebrieren. Als Pilot hätte ich die in Rede stehende Entscheidung genau so getroffen.

Rainer Bruckert via Facebook

Auch Nichtentscheiden ist eine Entscheidung

Zu wenig berücksichtigt wurde, dass dies ein Gedankenexperiment ist. In der Realität trifft man natürlich eine Entscheidung, auch wenn man keine trifft. In diesem Sinn ist es auch Unsinn, wenn gesagt wird, Menschenleben kann man nicht gegeneinander aufwiegen, und deshalb würde man den Dingen ihren Lauf lassen. Natürlich nehme ich damit eine „Wertung“ vor.

Anni Neumann via Facebook

Das Flugzeug wäre so oder so abgestürzt

Habe für unschuldig gestimmt und auch angerufen! Hätte mich zu keinem Zeitpunkt anders entschieden. Mir hat in dem Film der Aspekt gefehlt, dass das Flugzeug ja so oder so abgestürzt wäre. Die Theorie, dass die Passagiere noch hätten ins Cockpit gelangen können und den Entführer überwältigt hätten, war mir zu unrealistisch.

Daniel Effpunkt via Facebook

In Zukunft dann der TED-Volksentscheid ?

Und in Zukunft lassen wir mal in der Realität auch den TED entscheiden, und schwupp, der Volksentscheid ist da? Aber nicht schummeln und öfter anrufen.

Frank Killemann via Facebook