Debatte des Tages. Laut Schuldneratlas stecken 6,6 Millionen Deutsche finanziell in der Klemme. In unserer Region ist im Schnitt jeder Zehnte überschuldet. Worauf führen Sie dies zurück?

Immer mehr Menschen geraten in die Schuldenfalle. Fast jeder zehnte Erwachsene (9,65 Prozent) in Deutschland ist laut dem Schuldneratlas der Wirtschaftsauskunftei Creditreform überschuldet. In unserer Region liegt der Anteil meist noch höher und ist leicht gestiegen.

Laut Schuldneratlas hat sich die Zahl der Betroffenen in Deutschland gegenüber dem Vorjahr um rund 190.000 auf bundesweit 6,6 Millionen weiter erhöht. Eine Überschuldung liegt dann vor, wenn der Schuldner seine Zahlungsverpflichtungen auch in absehbarer Zeit nicht begleichen kann.

In Niedersachsen waren es dieses Jahr rund 17.000 Menschen mehr, auf die dieser Fall zutrifft. Die Quote liegt damit bei 10,37 Prozent und damit über dem Bundesdurchschnitt. In unserer Region ist der Anteil der Schuldner im Landkreis Goslar am höchsten – die Stadt Wolfsburg weist anteilig die wenigsten Schuldner auf.

Am geringsten auf Länderebene ist der Anteil in Bayern (6,98 Prozent). Bundesweite Schuldnerhochburg ist Bremen, wo fast jeder siebte Bürger betroffen ist.

Hauptursache der Überschuldung sind laut Creditreform neben überzogenen Einkäufen auch private Schicksalsschläge wie Scheidungen, Trennungen oder Krankheiten. Für das kommende Jahr rechnet die Wirtschaftsauskunftei mit einem weiteren Anstieg der bundesweiten Schuldnerquote.

Schuldnerberaterin Anette Borchard von der Caritas in Wolfsburg sprach mit Kai Stoppel über die Wege in die Schuldenfalle – und wie durch professionelle Hilfe und Beratung jeder wieder aus ihr heraus kommen kann.

Frau Borchard, was sind Ihrer Erfahrung nach die häufigsten Ursachen für eine Überschuldung?

Borchard: In sehr vielen Fällen ist es plötzliche Arbeitslosigkeit. Aber auch Trennungen oder ein Verkehrsunfall mit einem noch nicht abbezahlten Auto können der Grund sein. Oft ist es aber auch einfach nur Naivität, weil etwa Mobilfunkverträge nicht verstanden wurden. Andere wiederum haben mehrere Versicherungen abgeschlossen, die sie gar nicht benötigen.

Hat die moderne Konsumkultur etwas damit zu tun?

Borchard: Eindeutig. Es wird heute jedem so leicht gemacht, Verträge abzuschließen und erst später und in Raten zu bezahlen. Da verlieren viele nach einigen Ratenzahlungsverträgen den Überblick.

Wie reagieren Menschen, wenn sie merken, dass sie Forderungen nicht mehr bedienen können?

Borchard: Viele werden depressiv. Sie öffnen die Briefe mit Mahnungen und Rechnungen ihrer Gläubiger nicht mehr, werfen sie gleich weg oder stecken diese ungelesen in eine Schublade. Wir haben schon oft erlebt, dass Menschen sehr verzweifelt zu uns kommen.

Was tut die Schuldnerberatung, um den Menschen zu helfen?

Borchard: Wir ermitteln den Schuldenstand und versuchen in der Regel, geringere Beträge mit den Gläubigern zu vereinbaren, möglichst in Ratenzahlung. Dazu stellt uns der Klient eine Vollmacht aus. Wir schreiben alle Gläubiger an und versuchen, eine Verringerung der Forderung zu erreichen oder vereinbaren eine Ratenzahlung. Die meisten Gläubiger gehen dann darauf ein, weil es für sie letztlich wirtschaftlicher ist.

Kann es jeder aus dem Schuldensumpf heraus schaffen?

Borchard: Ja, aber man muss es selbst wollen. Menschen, die von anderen zu einer Schuldnerberatung gedrängt werden, haben oft nicht die Motivation. Aber jene, die den ersten Schritt getan haben, sich Hilfe in einer Schuldnerberatung zu holen, sind dann sehr erleichtert.

Wie lange kann es dauern, bis jemand wieder schuldenfrei ist?

Borchard: Das Verbraucherinsolvenzverfahren plant sechs Jahre, viele außergerichtliche Regulierungspläne sind auch in Monaten oder wenigen Jahren abgezahlt.

Kann jeder eine Privatinsolvenz anmelden?

Borchard: Nein. Ein Verbraucherinsolvenzverfahren kann man nur beantragen, wenn man zuvor nachweislich ernsthaft mit einem Schuldenbereinigungsplan versucht hat, sich mit den Gläubigern zu einigen. Diese Bescheinigungen dürfen nur Schuldnerberatungsstellen, Rechtsanwälte und dazu berechtigte Organisationen ausstellen.

FAKTEN

Die Entwicklung der Schuldnerquote in Städten und Kreisen unserer Region (Anteil an allen Verbrauchern)

 20112012
Goslar12,13 %12,58 %
Osterode am Harz11,71 %12,06 %
Salzgitter11,15 %11,88 %
Helmstedt10,47 %10,93 %
Braunschweig10,63 %10,71 %
Peine9,58 %9,83 %
Wolfenbüttel8,99 %9,22 %
Gifhorn8,92 %9,15 %
Wolfsburg8,23 %8,25 %

Quelle: Creditreform